Abriss-Stimmung beim ersten Zeltfestival-Konzert in dieser Saison: Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys haben bei ihrem ausverkauften Gig am Freitag das Zelt auf dem Maimarktgelände in Mannheim zum Kochen gebracht.
Italien übt auf Deutsche seit jeher eine geradezu magnetische Anziehungskraft aus. Schon Johann Wolfgang von Goethe zog es in das Land südlich der Alpen, heutzutage reisen jedes Jahr bis zu 13 Millionen Bundesbürger in den Stiefelstaat. Italien, das verbindet man mit Urlaub, Sonne, Strand, Meer, aber auch mit Genuss und Dolce Vita. Und so verwundert es nicht, dass viele den Soundtrack des Landes im Ohr tragen, auch wenn sie längst schon wieder nach Deutschland zurückgekehrt sind. Je nachdem, wie man musikalisch gepolt ist, ob man mehr der Typ Rotwein oder Aperol Spritz ist, zieht man Adriano Celentano, Lucio Dalla, Eros Ramazotti, Zucchero, Pino Daniele, Mina, Gianna Nannini, Milva, Lucio Battisti, Al Bano & Romina Power oder Måneskin auf seine persönliche Canzone-Setlist.
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Oder man greift, ganz nach Gusto, zu Italo-Schlager. Der wird hierzulande mittlerweile von Giovanni Zarrella angeführt. Aber auch von Bands wie Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys dargeboten, wenn auch auf eher ironische Art und Weise, was der ausgelassenen Stimmung bei ihren Konzerten allerdings keinen Abbruch tut.
Ein deutsches Pop-Phänomen
Keine Frage, die aus Augsburg und München stammende Band ist ein deutsches Pop-Phänomen. Schon die fiktive Biografie der Band macht Spaß. Laut dieser haben sich die Mitglieder 1982 am Gardasee kennengelernt, eine Band wurde gegründet, und schon 1984 konnte sie den Nachwuchspreis des Internationalen Schlagerfestivals in Rio de Janeiro einheimsen. 1992 sollen sie dann Preisträger „International“ beim Schlagersymposium gewesen sein und ab 1997 eine Pause eingelegt haben, ehe sie dann 2016, optisch fast unverändert, ihr Comeback feierten. 2017 gab es dann den Hallo-Werner-Preis in Augsburg für das Lebenswerk.
In Wahrheit ist das natürlich alles Quatsch, die Bandmitglieder sind erst um die 30, tatsächlich gegründet hat sich die Band 2016. Das Debütalbum der Gruppe trug passend zur lustigen Band-„Geschichte“ direkt den Namen „Greatest Hits“, und seither geht es bei Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys (kurioserweise unter dem Namen Roberto Bianco & Die Abbrunzati Boys als Duo gestartet) steil bergauf. Ein Nummer-eins-Album („Mille Grazie“, 2022) inklusive.
Mehr als nur Klamauk
Man könnte das trotzdem natürlich alles als einen bloßen Gag abtun, wenn die Jungs nicht so hervorragende Musiker und Entertainer wären. Und wenn man genau hinhört, dann findet sich abseits der Pizza-Vino-Rimini-Klischees auch nicht nur stimmungsvolles, sondern auch tiefgängiges. So funktioniert „MS Abbrunzatissima“ etwa einerseits als Liebeslied mit Kreuzfahrtbezug („Die Band spielt Schlager/Es ist passiert/Wenn dann mein Herz/Auf deinem Felsen havariert“), gleichzeitig aber durch Zeilen wie „Auf der Brücke schreit das Echolot/Die Lichter, die bedeuten Spaß oder Tod/Uns’re Welt wird eine andere sein“ und „Es wird nie mehr wie es war/Nur du und ich/Kreuzfahrt ins Nichts“ auch als Kritik an Umweltverschmutzung. Die Kreuzfahrt als „Metapher mit der Brechstange für alles, was in dieser Welt falsch läuft“, wie die Band mal in einem Interview mit dem „Diffus“-Magazin zu Protokoll gab. Es gehört auch zur Kunst der Kapelle, Botschaften nicht mit dem erhobenen, moralischen Zeigefinger zu vermitteln, sondern so, dass ihre Tifosi (wie sich ihre Fans nennen) dazu tanzen können.
In Mannheim konnten die Fans zwei Stunden lang zum Italo-Schlager-Programm tanzen, gerade bei Hits wie „Brennerautobahn“, „Bella Napoli“, „Ponte Di Rialto“, „Sophia Loren“ oder „Goodbye, Arrivederci“ ging das Publikum unter der Discokugel besonders steil.
Am Ende: ein langer (vielleicht etwas zu langer), zweiteiliger Zugabenteil, Konfettikanonen, „Weiße Rosen“. Und irgendwie Lust, mal im Reisebüro oder Internetportal des Vertrauens nachzufragen, ob es gerade günstige Italien-Angebote gibt. Amore, Dolce Vita, Eskapismus liegen nur eine Autofahrt über den Brenner entfernt.
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