Wenn Phil Collins Italiener wäre, würde er so klingen wie Eros Ramazotti. Das weiß der Römer, der das auch durchaus als Kompliment auffasst. Gemein haben die beiden Musiker diese beinahe unanständige Hitdichte und Formatradiotauglichkeit. Davon konnte man sich am Samstagabend in der Mannheimer SAP-Arena überzeugen.
Wer so durch die Kommentarspalten von Facebook scrollt, käme zwar nie auf den Gedanken, aber man sagt: Deutschland sei das Land der Dichter und Denker. Nun ja, so ein kleiner Goethe steckt möglicherweise in vielen von uns. Zumindest, wenn es um die Liebe zu Italien geht. Denn nach wie vor übt das Land auf uns eine besondere Anziehungskraft aus. Das ist 2023 nicht anders als 1786. Den wenigsten gelingt zwar nach ihrer Rückkehr aus dem Stiefelstaat ein Werk wie „Iphigenie auf Tauris“, aber wenn man auf einer römischen Piazza einen Cappuccino schlürft, fühlt man sich dem deutschen Dichterfürst schon näher als gewöhnlich.
anzeige
Die Italiensehnsucht der Deutschen spiegelte sich aber schon deutlich stärker in den Charts wieder als das derzeit der Fall ist. Aktuell ist Måneskin der erfolgreichste Italo-Export, ansonsten sind viele vermeintliche Italo-Sounds, die man derzeit so hört, eigentlich made in Germany. Sven Regener und Francesco Wilking haben mit der Crucchi Gang deutschsprachige Indie-Hits ins Italienische übertragen, Roy Bianco & die Abbrunzati Boys nehmen gekonnt den Italo-Schlager aufs Korn.
Der Phil Collins des Latin Pop
Zwischen den 1960er und 1990er Jahren war das noch anders. Da spülte es regelmäßig Musik aus dem Süden in unsere Hitparaden. Adriano Celentano, Alice, Gianna Nannini, Zucchero, Giorgio Moroder, Al Bano und Romina Power … aber keiner der Genannten wurde hierzulande so ins Herz geschlossen wie Eros Ramazotti. Der Mann war in den 1980er- und 1990er-Jahren aus der hiesigen Radio-Rotation nicht wegzudenken. Die „Miami New Times“ – Eros hat eine treue Fangemeinde in Südamerika – taufte ihn ehrfürchtig den „Phil Collins des Latin Pop“. Und nicht von ungefähr.
Er ist einfach alles
Die Songs des leidenschaftlichen Eros waren ebenso süffig, eingängig und unverschämt radiotauglich wie die des Genesis-Frontmanns und ebenso wie der Brite war der Italiener mit seinem Tun so sehr Mainstream, dass man ihn als uncool und seicht abstempelte. „Alles Neid“, befand „Rolling Stone“-Autor Eric Pfeil in seinem lesenswerten Reiseführer durch die italienische Musik, der im vergangenen Jahr bei Kiepenheuer & Witsch erschien („Azzurro – Mit 100 Songs durch Italien“): „Eros Ramazotti hat einfach alles: Er sieht aus, wie er heißt, schreibt gefällige, gleichwohl clever konstruierte Hits, und kann singen wie Claudio Baglioni mit Nasennebenhöhlenentzündung.“ Den Ramazotti-Gassenhauer „Se Bastasse Una Canzone“ (zu deutsch: Wenn ein Lied reichen würde), in dem der Römer nichts weniger als den Weltfrieden verhandelt, bezeichnet Pfeil gar als das „Imagine“ der leichten Musik Italiens.
Die Fans müssen sich aber an diesem Abend in Mannheim ein wenig gedulden, ehe Eros den Lennon gibt. Denn los geht es erst einmal mit neuen Songs. Gleich mit drei frischen Tracks eröffnet Ramazotti das Konzert in der SAP-Arena. Alle stammen sie von seiner neuen Platte „Battito Infinito“, die im vergangenen Spätsommer erschien. Das Titelstück gibt den Opener, „Gli ultimi romantici“ und „Sono“ schließen sich an, ehe dann mit „Dove c’é musica“, „Quanto amore sei“ und „Un’emozione per sempre“ der erste Hit-Block folgt. „Se Bastasse Una Canzone“ kommt dann erst auf Rang neun der Setlist, es ist das erste Mal, dass sich die SAP-Arena in ein Smartphone-Lichtermeer verwandelt. Später wird dann auch das Camus-Zitat „Frieden ist die einzige Schlacht, die es wert ist, geführt zu werden“ eingeblendet. Wahrscheinlich auf den Krieg in der Ukraine bezogen. Eros lässt den berühmten Satz des französischen Philosophen allerdings für sich stehen, unkommentiert.
Ansonsten ist es ein wilder Ritt durch den umfangreichen Songkatalog des ewigen Eros, dem man bei diesem Konzert nicht anmerkt, dass er bald Opa und im Oktober immerhin 60 Jahre alt wird. Der Mann strotzt nur so vor Leidenschaft und Energie, ist obendrein immer noch gut bei Stimme. Getragen wird er überdies durch eine fantastische Band, aus der Drummer Eric Moore und Saxofonist Marco Scipione noch herausstechen.
Nebel und Italianità
Die neuen Ramazotti-Nummern mögen zwar ganz gefällig sein, das Publikum in der ausverkauften Mannheimer SAP-Arena geht aber natürlich vor allem bei den alten Hits steil. „Adesso tu“ und „Un’altra te“ ebnen den Weg für „Cose della vita“, dessen Intro heute noch genauso knallt wie 1993. Kommt gerade live besonders gut.
Zum Abschluss der zweistündigen Show: „Un Attimo Di Pace“ und „Ti sposerò perché“. Dann endlich „Più bella cosa“, das Ramazotti einst für seine damalige Ehefrau Michelle Hunziker schrieb. Heute ist die Gute Thomas Gottschalks Co-Moderatorin bei „Wetten, dass …?“. Über die Sendung schrieb Pfeil in seinem Buch, dass so mancher mutmaßte, sie sei nur erfunden worden, „um Eros Ramazotti die Möglichkeit zu geben, möglichst oft im Trockeneisnebel herumzustehen und gepflegte Italianità zu verbreiten.“ Es hätte in Mannheim ruhig mehr Nebel sein können. Aber das mit der Italianità, das hat ganz gut funktioniert …
anzeige