16 Jahre nach seinem letzten Konzert in Deutschland macht Dieter Bohlen derzeit wieder deutsche Bühnen unsicher. Am Samstagabend ist der „Pop-Titan“ vor 6000 Zuschauern in der Mannheimer SAP-Arena aufgetreten und hat einen Querschnitt seines Schaffens präsentiert. Bis zum nächsten Mal dürfen gerne wieder 16 Jahre vergehen.
Manchmal ist es ein Witz, ein einfacher Scherz, der die Welt komplett aus ihren Angeln hebt. Wer weiß, hätten der damalige US-Präsident Barack Obama und der Comedian Seth Meyers beim Correspondent’s Dinner 2011 nicht den im Publikum sitzenden Donald Trump durch den Kakao gezogen – vielleicht wäre uns der Mann ja als US-Präsident erspart geblieben. Und hätte Formel-Eins-Moderator Ingolf Lück 1985 in einer Sendung nicht einfach so zum Spaß den Clip zu dem seiner Meinung nach absurd schlechten „You’re My Heart, You’re My Soul“ ausgestrahlt, wäre die Erfolgsgeschichte von Modern Talking wohl so nie geschrieben worden. Das Duo, bestehend aus Thomas Anders und Dieter Bohlen, war bis dahin nämlich vor allem eins: chronisch erfolglos. Aber: Beides ist passiert – und jetzt müssen wir mit den Folgen leben.
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Während nun schon hinreichend analysiert wurde, wie es denn dazu kommen konnte, dass ein Donald Trump heute der mächtigste Mann der Welt ist, sind sich die Gelehrten noch uneins darüber, warum die Deutschen in ihrer Angst vor einer drohenden nuklearen Apokalypse, zur Hochzeit des Kalten Krieges, gerade in Modern Talking ihren musikalischen Eskapismus fanden. Und warum man sich ausgerechnet auf Anders und Bohlen links und rechts des Eisernen Vorhangs einigen konnte. Tat man aber. 120 Millionen verkaufte Tonträger – die, wenn man Zeitzeugen fragt, natürlich nie jemand gekauft haben will – sprechen für sich. Modern Talking waren die erste West-Band, die in der Sowjetunion ihre Platten verkaufen durfte; die Texte ihrer Songs waren so banal und politisch unverdächtig, dass das kein Problem darstellte.
Modern Talking als Kickstart
Der Erfolg von Modern Talking, die ja Ende der Neunziger Jahre nochmal ein großes Comeback starten sollten, war auf jeden Fall der Kickstart für die Karriere von Dieter Bohlen. Im Gegensatz Thomas Anders sollte er fortan auch nicht mehr von der Bildfläche verschwinden. Blue System, eine erfolgreiche Autobiografie, Juror bei „Deutschland sucht den Superstar“, Hit-Produzent, Songwriter für nationale und internationale Kollegen – Bohlen war und ist immer irgendwie da gewesen. Und wenn es beruflich gerade mal nicht so lief, dann halfen die Naddels und Veronas dieser Welt, dass der gute Dieter nicht aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwand.
Jetzt lapidar von einem Comeback zu sprechen, das wäre an dieser Stelle also falsch. Ein Bühnen-Comeback ist die aktuelle Tour für den Pop-Titan, wie ihn die „Bild“-Zeitung eins taufte, allerdings schon. 16 Jahre gab Bohlen hierzulande kein Konzert mehr.
Bohlen: Singen kann er nicht
Der Mann weiß, warum. Denn: Singen kann er eigentlich nicht. Und nicht nur eigentlich. Singen kann er nicht. Punkt. Das, was sich Bohlen in Mannheim da in rund zwei Stunden zusammenfistelte, mag juristisch gesehen noch keine Körperverletzung gewesen sein, so ganz sicher kann man sich als rechtswissenschaftlicher Laie da aber auch nicht sein. Die Band musste also helfen: Sie spielte oft ein bisschen lauter, um die stimmlichen Schwächen ihres Frontmanns zu kaschieren. Und dann gab es ja dann auch noch die zweite Stimme, einen jungen Mann mit Hipster-Bart und Man-Bun, der Bohlen nach Kräften supportete. Aber: Vergebliche Liebesmüh. Bohlen, der in seiner Funktion als DSDS-Juror ja gerne mal mit gehässigen Kommentaren Kandidaten aus der Sendung beißt, hätte als Teilnehmer in seiner eigenen Show wohl nur schlechte Karten.
Da wünschte man sich tatsächlich Thomas Anders zurück (und wunderte sich über sich selbst). Zumindest bei den Modern-Talking-Nummern, die das große Finale bildeten. Vorher wäre allerdings auch Noras Ex weitgehend weitgehend überflüssig gewesen. Denn da bestand das Programm zum großen Teil aus Nummern, die Bohlen als Blue System aufnahm oder die er für Schlager- oder DSDS-Interpreten schrieb. Lieder von Mark Medlock, Pietro Lombardi oder Alexander Klaws zum Beispiel. Dessen Hit „Take Me Tonight“, eine etwas schmierige Ballade aus den frühen Nuller Jahren, verhunzte Bohlen besonders eindrucksvoll.
Am stärksten ist Bohlen zwischen den Songs
Am stärksten war „der Dieter“ an diesem Abend eigentlich immer zwischen den Songs. Wenn er die eine oder andere Anekdote zum Besten gab. Etwa zu „Midnight Lady“, das er eigentlich mal für Rod Stewart geschrieben hatte. Weil dieser den Song aber partout nicht wollte, landete er am Ende bei Smokie-Sänger Chris Norman – und in einem „Schimanski“-Film.
Die Vermutung, dass die Zuschauer in der SAP-Arena vor allem in der Hoffnung auf ein paar unterhaltsame Sprüche und Stories gekommen waren, ließ sich aber nicht bestätigen. Auch „ironisch“ dürften nur die wenigsten da gewesen sein. Aus welchen Gründen auch immer: Das, was Bohlen da auf der Bühne veranstaltete, sorgte bei seinen Anhängern, die er seine „Schnuckelhasen“ taufte, für Begeisterung. Man rastete gepflegt aus, die Ekstase trug an diesem Abend Camp-David-Polo-Hemden. Es störte das Publikum auch nicht weiter, dass Bohlen als Zugabe noch mal ein Medley jener Songs präsentierte, die er schon kurz zuvor im Hauptteil des Konzerts gespielt hatte. Sei’s drum. Die Frage, wer damals die 120 Millionen Modern-Talking-Tonträger gekauft hat, ließ sich in Mannheim also zumindest zum Teil beantworten. Die nach dem „Warum“ hingegen – sie bleibt weiter offen.
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