Klangwart

Irgendwie schon immer da, aber der große Durchbruch will ihnen einfach nicht gelingen. Das Kölner Duo Klangwart bleibt Zeit seines Daseins Geheimtipp. Zum Unverständnis unseres Autoren, der sich vor allem in das Album „Stadtlandfluss“ verliebt hat.

Timo Reuber und Markus Detmer verstehen ihr Handwerk. Immerhin sind die beiden studierte Musiker. Während des Studiums lernen sich die beiden auch kennen. 1996 entscheiden sich Reuber und Detmer, ihre Liebe zu minimalistischer Musik und zum Krautrock in einem gemeinsamen Bandprojekt aufgehen zu lassen. Es ist der nächste, logische Schritt. Gesagt, getan, Klangwart sind geboren – und das eigene Label Klangstelle gleich mit dazu. Erste, improvisierte elektronische Live-Sessions, bei denen sich die Musiker als „Musik-Arbeiter“ und „Klang-Forscher“ bezeichnen, finden im Kölner Untergrund offene Ohren und abgespacete Tanzkörper.

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Die Longplayer, wie das Debütalbum „Immerland“ aus dem Jahre 1997, sind zu jeder Zeit hochwertig. Großen Einfluss auf das Schaffen und Wirken von Klangwart haben gemeinsame Listening-Sessions, in denen Reuber und Detmer gemeinsam Hören und Diskutieren, Sounds und Klänge regelrecht durchleuchten. Der etwas schlicht wirkende Name für das zweite Album, nämlich „Zwei“, soll nicht darüber hinwegtäuschen, wie innovativ und genial Klangwart die aktuellen Strömungen der minimalistischen, elektronischen Musik (gerade mit dem Schwerpunkt der deutschen Kolorierung, die noch in den 1970ern weltweit wegweisend wurde) weitergedacht und interpretiert. In dieser stringenten Art und Weise sind sie der Maceo Parker des Old-School- und P-Funks.

1999 stellt Klangstelle dann den Betrieb ein, und auch Klangwart verzichten vorerst auf weitere Veröffentlichungen.

Vorgespult: Ein paar Jahre Klangwart-Pause, einige Soloprojekt-Longplayer und einen Haufen an experimentellen Konzerten später, erscheint 2008 beim Label „staubgold“ das bewusstseinserweiternde Album „Stadtlandfluss“. Ein Konzeptalbum, ja. Die einzelnen Songs sind so ineinander gemischt, dass Grenzen komplett verwischen. Irgendwo ist lediglich ein nicht hörbares Signal für den CD-Player gesetzt, bei dem ein Titel vom anderen getrennt wird. Das Ganze ist wie ein musikalisches Buch, die einzelnen Titel die Kapitel darin.

(„Bei dem Album hat mich Gott – oder wer es nicht so brachial religiös mag – die Natur, eine Weile über die Schulter schauen lassen und zwar genau eine dreiviertel Stunde lang. Seit langer Zeit war dies ein komplettes Album, das mich in eine andere Sphäre eintauchen und mich mein (Selbst-) Verständnis von Musik wieder neu aufrollen ließ. Mir die Essenz aus Musik, Mensch und Natur zeigte.“ – Anmerkung des Autors).

Dabei wirkt „Stadtlandfluss“ wie eine Zusammenfassung der bisherigen Geschichte von Klangwart. Das Konzept „Stadtlandfluss“ firmierte auch unter dem Namen bereits fast 10 Jahre zuvor, das Album ist also die Essenz aus einem zehnjährigen Live-Set. Klangwart limitiert sich selbst mit Loops und Sounds auf ein Minimum und erfindet „Stadtlandfluss“ auf jedem Konzert und auf jeder Session neu. So entsteht ein „Loop der Erfahrungen“, der dann kombiniert und so zu einem harmonisch-disharmonischen, perfekten Opus wird.

Zum Glück für den Hörer haben sich Reuber und Detmer 2008 dazu durchgerungen dieses Konzept im Studio für die Ewigkeit festzuhalten. 10 Jahre später würde es sich sicherlich komplett anders anhören, doch zu dem Zeitpunkt im Jahr 2008 lassen Klangwart den Hörer den Rhythmus der ursprünglichen und industriellen Schöpfung erleben und mit dem eigenen Takt verbinden. Das Album wird zu etwas ganz Persönlichem für den Hörer und birgt doch die universelle Wahrheit.

Die Stileinordnung bleibt dabei natürlich schwierig. Klar, elektronische Musik. Doch da auf einen Grundbass gänzlich verzichtet wird und die Geräusche und Sequenzen Rhythmus, Takt und Metrum aus sich heraus erzeugen, kann es wohl als minimalistischer Ambient bezeichnet werden. Klangwart selbst wäre sicher zufriedener, wenn der Stil eher Modern Kraut genannt werden würde.

Ohne treibendes Metrum durch Bassdrums oder melodiegebenden Rhythmus eines tiefen E-Basses ist „Stadtlandfluss“ wie auch alle anderen Klangwart-Alben zu keiner Zeit kommerziell angelegt. Mit nur wenigen Handgriffen wäre eine trance-artige Tanzbarkeit entwickelbar, die Massen auf Festivals und in spezialisierten Clubs erreichen könnte. Doch andererseits bestünde die Gefahr, so die ganzheitliche Atmosphäre der filigran gearbeiteten Alben zu zerstören.

Die Wichtigkeit des Konzepts „Stadtlandfluss“ zeigt sich auch ein Jahr später in einer weiteren Veröffentlichung, nun als Live-Album, das wiederum – wie zu erwarten – im Kern universell bleibt, jedoch einen anderen Zeitpunkt aus dem Tagebuch von Klangwart widerspiegelt. Das Album „Sommer“ aus dem Jahre 2010 ist ebenfalls ein großartiges Hörerlebnis.

(„Jedoch gibt es ja Alben, die persönlich besonders berühren und wegweisend für Zuhörer und Band sind. „Stadtlandfluss“ ist ein solch massives Erlebnis und somit gebe ich hier meine ganz persönliche Reise wieder: Gleich nach dem Urknall kann der Hörer die Entstehung und die Weite des Universums mitverfolgen („Zwei Töne“). Das Schwarz und Weiß, das Gut und Böse, das Yin und Yang der Kräfte wird von den Lebewesen aufgenommen und spiegelt sich im digitalen An und Aus („IO“). Als Beispiel der aufkeimenden technischen Errungenschaften ist das („Radio“) zu hören. Die Kräfte des Natürlichen und des Menschgemachten spielen hin und her, ohne richtig oder falsch zu sein, sind wie bei einem Anagramm vorwärts und rückwärts lesbar („Hamanamah“). Sphärische Stimmenklänge und Streicher, die in ihrer Monotonie wie Maschinen der frühen Industrialisierung klingen, lassen die zwei Töne des Beginns massiver erscheinen („Telemann“). Geräusche, wie bei überdimensionierten Lichtbögen, laden den Zuhörer auf. Die Aussteuerung geht an die Grenzen, die Membranen der Boxen wollen aus der Halterung springen. Obwohl es reale Qualen bereitet muss der Zuhörer dies ertragen, ist es doch Teil vom Ganzen. Wie bei einem Gewitter, das langsam abzieht, aber dennoch noch einmal einen Blitz vorbei schickt ebbt („Strom“) ab. Nur ein Ton bleibt, bis eine gehauchte weibliche Stimme etwas scheinbar Osteuropäisches haucht, das beruhigt, anregt, aber doch fragen lässt, ob es tatsächlich um Heimat geht („Mein Herz, mein Haus“) und was genau dieses „Heimat“ eigentlich bedeutet. Langsam zieht nun auch die Natur weiter und lässt den Zuhörer in einer weiten und doch aufgeheizten Atmosphäre zurück. Nur selten darf ein einzelner Mensch so tief in das Ursprüngliche schauen“ – Anmerkung des Autors) .

Obwohl es perfekter minimaler Ambient-Kraut ist, der Zuhörer mit Musikverständis durch die Sphären beamt, sind auch die Remixes der unterschiedlichsten DJs oder von Klangwart selbst interessant. „Stadtlandfluss“ bietet als Essenz auch die Grundlage für Interpretationen in jede erdenkliche elektronische Richtung. Ein Juwel. Es wird also Zeit, dass Klangwart wieder in den Underground-Clubs unterwegs ist und auch einer neuen Generation von Hörern elektronischer Musik grundlegende musikalische Werte weitergeben kann.

2015 erscheint nach mehrjähriger VÖ-Pause das Album „Transit“ auf dem neuen, bandeigenen Label Staubgold.

DISCOGRAPHY

1997: Immerland

1998: Köln-Olpe

1998: Zwei

2007: Stadtlandfluss

2009: Stadtlandfluss live

2009: Sommer

2015: Transit

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