Fast hätte man hier statt eines Interviews mit der britischen Singer-Songwriter-Legende Joan Armatrading eine Geschichte des Scheiterns lesen müssen. Denn: Der Interviewer vergaß im Zoom-Call sein eigenes Mikro freizuschalten und schwieg die 70-Jährige erst einmal für rund ein Drittel der vereinbarten Gesprächszeit einfach an. Glücklicherweise blieb die gute Joan geduldig, wartete zuvorkommend ab, bis der technische Fauxpas behoben war und stand dann Rede und Antwort. Es ging um ihr neues Album „Consequences“, Corona und die Liebe als ewiger Quell der Inspiration.
Hallo Joan, die wichtigste Frage in diesen verrückten Zeiten gleich vorweg: Wie geht es Ihnen?
anzeige
Sehr gut, danke.
Viele Menschen haben ja in dieser Pandemie ganz unterschiedliche Strategien entwickelt, mit ihr umzugehen. Wie sah Ihre aus? Konsumieren Sie jeden News-Schnipsel?
Die hat sich im Laufe der Zeit tatsächlich etwas gewandelt. Am Anfang, als die Pandemie als etwas Neues über die Welt hereinbrach, da habe ich tatsächlich jede Information in mich aufgesogen, die ich bekommen konnte. Mittlerweile dosiere ich das ein bisschen anders. Ich informiere mich natürlich immer noch, aber man muss sich auch seine Freiräume schaffen. Auch mal an etwas anderes denken.
In einem Interview mit den „Irish Times“ haben Sie sinngemäß gesagt, dass man nach Trump, Brexit, der Pandemie und inmitten des Klimawandels nicht mehr dahin zurück kann, wo man hergekommen ist. Sind Sie dennoch optimistisch?
Ja, unbedingt. So ein Typ Mensch bin ich einfach. Ein Das-Glas-ist-halb-voll-Typ. In einem Neuanfang stecken ja auch viele Chancen. Und zu dem Status Quo vor der Pandemie kann man auch einfach nicht mehr zurück; schon allein der Klimawandel bringt da einfach gewisse Zwänge mit sich. Aber ich bin mir sicher: Uns wird es gut gehen, wir werden die nötigen Änderungen vornehmen. We’ll be fine.
„Habe mich nie als politische Songwriterin verstanden“
Die Liebe ist ein Thema, dass Sie sehr beschäftigt, auch auf Ihrer neuen Platte „Consequences“. Ist das in diesen Zeiten ein Statement für sich selbst?
Nein, das ist vor allen Dingen ein Thema, das mich einfach schon immer fasziniert und interessiert hat. Es ist ein universelles Thema, das einfach immer relevant ist. Es inspirierte zu jeder Zeit nicht nur Musiker, sondern auch Schriftsteller oder Filmemacher. Ich habe mich auch einfach nie so sehr als politische Songwriterin verstanden. Das hat mich nie so sehr interessiert, das konnten andere gerne machen. Die Liebe hingegen, das war immer mein Thema. Dazu hatte ich etwas zu sagen.
Inwiefern ist denn „Consequences“ ein Pandemie-Album geworden? Hat sich die Arbeit von der an Ihren früheren Platten unterschieden?
Ich hatte schon vor der Pandemie an dem Album gearbeitet, von daher kann man nicht sagen, dass es ein Corona-Album geworden ist. Auch, weil die Pandemie an meiner Arbeit wirklich überhaupt nichts geändert hat. Da hatte ich echt Glück. Ich habe die Songs geschrieben, ich habe sie aufgenommen, dabei alle Instrumente gespielt, das Ganze auch gemixt und produziert. Das mache ich schon seit 2003 so, ich bin damit ganz gut gefahren. Ich weiß, wie ein Song, den ich im Kopf habe, am Ende klingen soll. Daher brauche ich bei der Arbeit an einem Album nicht unbedingt Mitstreiter. Und so hatte ich auch nicht das Problem, dass während Corona plötzlich mein Gitarrist oder Produzent in Quarantäne musste.
So entstand „The Shouting Stage“
Ihre Songs sind weniger autobiografisch, sondern fußen meist auf Beobachtungen. War das während der Pandemie nicht schwieriger? Das Beobachten?
Nein, es ist schon verwunderlich, wieviel man über die Jahre im Fundus seines Gedächtnisses eingelagert hat. Plötzlich geht da eine Schublade auf, man erinnert sich an etwas, das schon Jahre her ist und hat plötzlich eine Idee. Da gab es überhaupt keine Probleme.
Erzählen Ihnen Ihre Freunde eigentlich noch ihre Herzschmerz-Geschichten? Oder haben sie mittlerweile Angst, in einem Ihrer Songs zu landen?
(lacht) Ja, das trauen sie sich noch. Aber meine Beobachtungen beziehen sich auch nicht unbedingt auf mein direktes Umfeld. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich mal in einem australischen Restaurant den Streit eines mir völlig unbekannten Pärchens miterlebt habe, der ziemlich lautstark war. Ich fragte mich, was die beiden wohl zu einer so öffentlichen Szene bewogen haben mag. Das hat mich inspiriert, daraus wurde dann irgendwann der Song „The Shouting Stage“. Diese Art von Geschichten kann ich also überall beobachten. Außerdem verfremde ich natürlich auch meine Beobachtungen, bisher hat sich noch niemand in meinen Songs wiedererkannt. Hoffe ich. (lacht)
„Mein Gesang ist Mittel zum Zweck“
Sie haben jetzt 22 Alben veröffentlicht. Es ist kaum zu glauben, dass Sie ursprünglich gar nicht selbst singen wollten sondern am liebsten nur für andere Künstler geschrieben hätten.
Ja, eigentlich geht es mir vor allem um meine Songs, weniger um meine Stimme. Über die denke ich auch kaum nach. Ich singe, damit die Menschen meine Songs hören können, mein Gesang ist da nur ein Mittel zum Zweck. Daher habe ich auch nicht von einer Bühnenkarriere geträumt. Ich wollte einfach, dass die Menschen meine Songs kennenlernen.
Sie haben den Schritt ans Mikro aber wahrscheinlich trotzdem nicht bereut.
No regrets. (lacht)
Ich habe gelesen, dass Sie auch einen Song, von dem Sie wissen, dass er schlecht ist, trotzdem immer zumindest fertigstellen müssen, ehe er im Papierkorb verschwindet.
Ja, unbedingt. Das ist eine eiserne Regel, an die ich mich halte. Ein Song muss zu Ende geschrieben werden, auch wenn ich weiß, dass ich ihn nicht aufnehmen werde. Erst dann ist mein Kopf frei für die Arbeit an dem nächsten. Sonst würde mir das unvollendete Lied immer im Kopf umher spuken. Ich glaube fest daran, dass diese Herangehensweise auch mit dafür verantwortlich ist, dass ich in meinem ganzen Leben noch keine Schreibblockade hatte.
„Ein schlechter Song bleibt ein schlechter Song“
Haben Sie denn Jahre später mal einen Song wieder aus der Ablage P gefischt und gedacht: Wie konnte ich dieses Meisterwerk denn nur wegwerfen!??!
Das ist mir tatsächlich noch nie passiert. Kein Recycling (lacht). Ich denke, ich habe da ein ganz gutes Gespür für. Wenn ich einen Song nicht mag, wird er mir auch Jahre später nicht gefallen. Das bleibt dann eben ein schlechter Song.
Es hieß, als Sie ihr erstes Album veröffentlicht haben, wusste Ihr Label gar nicht, wie es Sie vermarkten sollte. Als erste schwarze Singer-Songwriterin in Großbritannien.
Ja, das waren andere Zeiten damals. „Whatever’s for Us“ erschien 1972, und damals war ich schon eine Ausnahmeerscheinung. Und das lag nicht nur daran, dass ich schwarz war, sondern auch daran, dass ich eine Frau war. Frauen, die Songs schrieben, das gab es damals kaum. Und als ich als Teenagerin anfing, Songs zu schreiben, in den frühen Sechzigern, erst recht nicht. Da gab es für mich auch kein weibliches Vorbild, an dem ich mich orientieren konnte. Selbst eine Joni Mitchell tauchte erst später auf der Bildfläche auf.
Hat sich das Business seither weiterentwickelt? Oder haben junge, schwarze Musikerinnen heute immer noch ähnliche Probleme?
Wir leben heute in etwas anderen Zeiten. Es gibt schwarze, weibliche Singer-Songwiterinnen, das ist normaler geworden, klar. Aber auch heute noch müssen sich Künstlerinnen mit Sexismus oder Rassismus auseinander setzen.
Sie haben mal gesagt: „Black girls don’t sing pretty, because they haven’t been brainwashed into being weak.“ Gilt das heute immer noch?
Oh, das ist wirklich ein sehr altes Zitat. Das stammt aus den Siebziger Jahren, meine ich, und damals hatte das auch durchaus seine Berechtigung. Heute ist das anders. Wenn man sich Künstlerinnen wie Amy Winehouse etwa anschaut, die sang auch nicht pretty, die sang auch nicht weak, das war eine wirklich starke Sängerin. Daher würde ich dieses Zitat so heute nicht mehr unterschreiben. Das hat sich mittlerweile überholt.
„Schätze meine Privatsphäre“
Sie werden oft als zurückhaltende, fast schüchterne Künstlerin beschrieben. Könnten Sie sich vorstellen, heute als junge Künstlerin durchzustarten? In einer Welt, in der es ohne Social Media eigentlich gar nicht geht?
Das ist eine gute Frage. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ich mich anders verhalten würde. Ich bin einfach ich und schätze meine Privatsphäre sehr, auch wenn ich das Interesse der Menschen an Künstlern, die sie mögen, verstehen kann. Aber ich bin gerne für mich und muss in den sozialen Netzwerken niemandem mitteilen, was ich gerade zu Mittag esse. Das fände ich auch recht langweilig. Ich müsste also versuchen, mich auch ohne Social Media irgendwie durchzubeißen.
Nein, ich glaube das nicht. Es gibt immer noch viele hervorragende junge Songwriter da draußen. Vor ein paar Jahren habe habe ich bei meiner Starlight-Tour in jeder Stadt, in der ich auftrat, einen lokalen Singer-Songwriter als Support engagiert. Insgesamt 52. Da waren viele tolle Künstler dabei. Es gibt sie also noch. Und auch ein Producer kann ja ein guter Songwriter sein.
Konzert als Live-Stream
Stichwort „Tour“. Wie sehen denn Ihre Pläne für die nahe Zukunft aus?
Nun, eine Tour wird es nicht geben, das wäre wohl auch ohne Pandemie so gewesen. In meinem Alter habe ich das ein bisschen zurückgefahren, da will man nicht mehr ständig on the road sein. Aber es wird bald ein Live-Konzert geben. Via Stream, am 31. Juli, direkt aus der Londoner Asylum Chapel (Link). Das ist auch für mich eine ganz neue Erfahrung. Natürlich wird es Klassiker zu hören geben, etwa „Me Myself I“, „Drop The Pilot“ und „Love And Affection“. Und dazu gibt es neue Songs, auch aus dem neuen Album, klar. Begleitet werde ich dabei von einer Band. Auf der Bühne kann ich natürlich nicht alle Instrumente selbst spielen. (lacht)
„Consequences“ wird mit Sicherheit nicht Ihr letztes Album sein. Sie haben der Welt ja noch ein Heavy-Metal-Album versprochen …
Stimmt, ich werde immer Songs schreiben. Damit kann und will ich nicht aufhören. Und was das Heavy-Metal-Album angeht, darf man daher immer noch hoffen. (lacht)
anzeige