Der britische Komponist und Multiinstrumentalist Roger Eno legt mit „Without Wind / Without Air“ sein nächstes Album für Deutsche Grammophon vor. Darauf weitet der Musiker aus dem Osten Englands seinen Blick wieder über die Heimat überaus. Er hat das große Ganze im Blick, das durch den Klimawandel bedroht wird. Der Sound ist wieder etwas orchestraler.
Als wir das letzte Mal von Roger Eno hörten, verneigte sich der Gute gerade vor seiner Heimat, schuf mit „The skies, they shift like chords“ im Jahr 2023 die ultimative musikalische Hommage an dieses Fleckchen Erde, das sich zwischen der Themse, des Wellands und des Great Ouse erstreckt. Die Gegend ist geprägt von kleinen, hübschen Dörfern, in die es die Menschen aus der Großstadt, gerade aus London, gerne zum Seelebaumeln lassen zieht. Und das hörte man den zwölf Songs der Platte damals auch an.
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Nun meldet sich Eno also zurück. Nach dem Erfolg von „The skies, they shift like chords“ sind auf dem Nachfolger „Without Wind / Without Air“ nun sowohl Klavierstücke zu hören als auch Kompositionen, die für jeweils unterschiedliche Besetzungen aus Klarinette, Gitarre, Bass, Streichern, Synthesizern, Schlagzeug und Elektronik instrumentiert wurden. Roger ist ja immer etwas klassischer unterwegs als sein Bruder Brian, auch wenn er dessen Ambient-Liebe durchaus teilt (bei „Mist“ wird mit Ambient-Elementen zumindest etwas geflirtet, ebenso beim Opener „Forgiveness“).
Auf dem nun vorliegenden Longplayer wird Roger begleitet von der Sopranistin Grace Davidson sowie seinen Töchtern Cecily und Lotti Eno. Bei „The Moon And The Sea“ singt er höchstpersönlich. Jonathan Stockhammer dirigiert drei Stücke am Pult der Streicher von Scoring Berlin, während Enos Freund und Produzent Christian Badzura mehrere Werke arrangierte und auch selbst spielt. Darüber hinaus komponierte er gemeinsam mit Eno die Eröffnungs- und Abschlusstitel.
Woher der Albumtitel kommt
Der Titel des Albums stammt aus dem Liedtext von „Doubled by the Sun“ der italienischen Band The Doubling Riders. „Mein Freund Pier Luigi Andreoni und ich haben in den Neunzigerjahren in Italien an verschiedenen Projekten zusammengearbeitet“, sagt Eno. „Er hat mir erlaubt, diese Zeile zu nutzen. Sie beschreibt eine schöne spätsommerliche Atmosphäre von nahezu vollkommener Bewegungslosigkeit und von Frieden.“
Zunächst gefiel Eno das Poetische dieser Textzeile, aber inzwischen hat sie für ihn eine neue Bedeutung bekommen. Er sagt: „Ich kam nicht umhin, mich mit der Frage zu beschäftigen, wie bedroht Arten und Klima sind und wie abhängig von Zufall und Achtlosigkeit. ,Without Wind / Without Air‘ ist eine Warnung, das Bild einer trostlosen Zukunft – falls es überhaupt eine Zukunft gibt.“
So klingt die Platte
Diese eher pessimistische (aber durchaus berechtigte) Perspektive spiegelt sich in den überraschenden Dissonanzen des Titelstücks, die einen herannahenden Sturm heraufbeschwören. Rogers subtile, sich langsam entfaltende Klavierlinie wird begleitet von den dunklen Klängen tiefer Streicher, Synthesizer und Elektronik, dem hohen, wortlosen Gesang von Grace Davidson sowie der durchdringenden Klage von Alexander Glücksmanns Klarinette. Eine ähnliche Stimmung findet sich in „The Final Year Of Blossom“, in der Davidsons Stimme zu hören ist. Das Stück ist inspiriert von der Furcht, dass eines Tages die japanischen Kirschbäume nicht mehr blühen könnten. Auch ohne Lyrics geht die Nummer unter die Haut.
Es ist aber auch Raum für Optimismus. Glücklichere Tage werden in „There Was A Ship“ heraufbeschworen, einer von Cecily Eno gesungenen Folk-Ballade über wiedervereinte Liebende. Sie führte dieses Lied sowohl mit ihrem Vater als auch mit ihrem Onkel im Amphitheater des Herodes Atticus in Athen auf – als Teil des ersten gemeinsamen Konzerts von Roger und Brian Eno. In dem schwermütigen Gegenstück dazu, „The Moon And The Sea“, erzählt Roger eine Geschichte unerwiderter Liebe. Seine ergreifende Gesangslinie wurde in einem einzigen Take eingespielt, heißt es im Waschzettel zum Album.
„Without Wind / Without Air“ umfasst drei interessante Stücke für Klavier solo: Die Melodie „Spell“ ist hörbar vom Folk beeinflusst. Dem gegenüber steht das eher klassische „Alembic Distillation“ mit seinen Anklängen an die Klaviermusik von Bach und Scarlatti und das sanfte „Saudade (Nostalgie)“.
„Without Wind / Without Air“ ist digital und auf Vinyl erhältlich. Eine limitierte LP-Edition umfasst eine signierte Kunstkarte mit einem von Roger Eno gestalteten Bild. Das abstrakt wirkende Motiv – ein Experiment mit Feder und Tinte – erinnert an fliegende Insekten, möglicherweise Eintagsfliegen, die über dem Wasser tanzen. Die Eintagsfliege, ein Symbol für Vergänglichkeit, ziert übrigens auch auf das von Cecily Eno gestaltete Albumcover.
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