Wie alles begann
Rocko, Sie feiern gerade 40 Jahre auf der Bühne. Dabei wäre es fast gar nicht zu einer Karriere im Showgeschäft gekommen. Wir hätten Sie beinahe ans Töpfern verloren!
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Ich bin tatsächlich gelernter Keramiker, allerdings gegen meinen Willen. Damals musste ich irgendwas machen, weil meine Mutter gesagt hat: Sonst fliegst du zu Hause raus. Also habe ich die Lehre absolviert und sie gleichzeitig verflucht. Jahrzehnte später, als wir „Dorfpunks“ ins Theater gebracht hatten, habe ich auf der Bühne getöpfert und gemerkt, dass das doch eigentlich ein geiler Beruf ist. Heute töpfere ich gerne.
Warum hatten Sie sich denn damals ausgerechnet Töpfern ausgesucht?
Ich wollte etwas mit Kunst machen, aber die Kunsthochschule in Kiel, auf die ich wollte, hatte keine Kurse mehr frei. Ein Jahr warten wollte ich nicht. Und auch meine Eltern hätten das nicht unterstützt, dafür war ich in der Zeit zu haltlos und gaga. Keramik schien mir halbwegs künstlerisch zu sein. Der Vorteil: Ich war als einziger Angestellter den ganzen Tag alleine. Das war aber auch gleichzeitig der Nachteil. Drei Jahre lang in der Jugend in einem kahlen Raum zu sitzen, um Tonigel herzustellen, da wird einem auch ganz anders bei.
Aber Sie haben es durchgezogen?
Das war das erste und einzige, das ich damals durchgezogen habe.
War das Interesse an Musik denn schon immer da?
Ja, schon immer. Seit ich 14 war, wollte ich Musik machen. Meine Eltern konnten sich aber nicht vorstellen, dass das etwas werden würde, weil es unfassbar schlecht war, was ich da zu Hause in unserem Proberaum fabrizierte. Selbst in den Punk-Kreisen, in denen ich mich bewegte, hielt man das nicht für gute Musik.
Zwischen Punk und Bravo
In Hamburg sind Sie ein Weltstar, im Rest der Republik eine Subkultur-Galionsfigur. Hatten Sie irgendwann mal damit geliebäugelt, in den Mainstream zu gehen?
Es gab da immer wieder Versuche. Ich bin zwischen Subkultur und Mainstream hin- und hergehoppt, konnte mich mit letzterem aber nie wirklich anfreunden. Mit 25 Jahren war ich bei Polydor gelandet, für eine dreiviertel Million Mark wurden zwei Platten produziert. Ich sollte der neue Teenie-Star werden, nachdem sich Die Ärzte aufgelöst hatten. Das hat nicht funktioniert. Aber auch danach gab es Momente. Ich war in allen möglichen Fernsehshows, bei Hugo Egon Balder, Hella von Sinnen oder Verona Feldbusch. Überall bin ich durchgeschoben worden. Aber es hat für mich nie gepasst, weil mir das zu glatt und unlustig war. Das hatte meinen Wunsch nach Merkwürdigkeit und Tiefsinnigkeit nie getroffen. Mit einem Bein bin ich aber immer noch irgendwie im Mainstream, „Fraktus“ war ja etwa ein sonderbares Zwitterwesen aus Mainstream und Indie, ein Kinofilm mit 1,7 Millionen Euro Produktionsetat, der von 150.000 Leuten gesehen wurde, inklusive Streaming und DVD. Auch meine Bücher sind ja häufig in der Spiegel Bestsellerliste. So ein bisschen Grenzgang gehört dazu, sonst wäre mir das zu eingeschränkt.
Sind die Grenzen zwischen Mainstream und Indie heute fließender?
Diesen klassischen Underground von damals gibt es nicht mehr. Die Jugendbewegungen früher waren scharf voneinander abgegrenzt. Beinahe sektenartig. Heute ist alles sehr durchmischt, es gibt keine geheimnisvollen Sphären mehr. Ich fand das damals gut, dass man in komischen Soziotopen aus der Realität abtauchen konnte und unauffindbar war. Das geht heute nicht mehr, heute hinterlässt man überall digitale Spuren.
Rocko und sein Hamburg
Hatten Sie Rechtfertigungsdruck in Ihrer Szene, als Sie seinerzeit auf dem Cover der „Bravo“ landeten?
Ich war damals gemeinsam mit den New Kids on the Block auf dem Cover, und das hat mich unter starken Rechtfertigungsdruck gebracht. (lacht) Im wichtigsten Punk-Club Hamburgs, dem „Krawall“, wurde natürlich die Nase gerümpft. Den Grenzgang in diese Welt fand ich selbst auch nicht einfach. Einmal war ich in München auf einer „Bravo“-Party, Milli Vanilli und Sydney Youngblood und so waren auch da. Ich habe schnell gemerkt, dass ich in diese Welt nicht gehöre und sie mich auch nicht will. Für diese Glattheit war ich nicht gemacht.
Sie sind sehr mit Hamburg assoziiert. Hätte Rocko Schamoni auch anderswo so gut funktionieren können?
Ich glaube, in anderen Ländern hätte ich einen anderen Status erreichen können. In Italien, England oder Amerika hätte ich viel weiter kommen können. Merkwürdige, undergroundige Grenzgänger zwischen Indie und Mainstream stoßen da eher mal an die Spitze vor – und verschwinden dann vielleicht auch wieder. Gerade in England merkt man das. Was da in den letzten 50, 60 Jahren in den Charts auftauchte, war teilweise hochgradig fantastisch und plemplem zugleich. In Deutschland ist es schwer, aus seinem Kästchen herauszukommen. Die Öffentlichkeit ist zu träge und nicht neugierig und mutig genug. Das hat etwas mit der German Angst zu tun, die ist einfach tief in uns drin.
Haben Sie mal versucht, auf den englischen Markt zu stoßen?
Nein, das wäre albern gewesen. Die haben da einfach schon verdammt gute Leute. Wenn da so ein Typ aus Hamburg mit seinem schlechten Englisch gekommen wäre … Ich hätte da nur als Phänomen funktionieren können. Aber das wäre ein Fight gewesen. Es gibt nicht viele deutsche Künstler, die in England auf Resonanz gestoßen sind. Kraftwerk vielleicht.
Scheitern als Chance
Wir haben viel übers Scheitern gesprochen, auch in Ihrem jüngsten Buch schreiben Sie darüber. Letztlich war Ihr früheres Scheitern ja die Grundlage für Ihren heutigen Erfolg. Haben wir hierzulande zu viel Angst vorm Scheitern?
Heute ist der Begriff des Scheiterns vom neoliberalen Wirtschaftssegment besetzt: Scheitern als Chance, man muss Scheitern zulassen, Scheitern, um wachsen zu können. Es gibt da einen Begriffswandel, den man kritisch beäugen muss. Bis Christoph Schlingensief vor 20 Jahren den Begriff umgemodelt hat, war das diffamierend. Seither gibt es ein Umdenken. Ich selbst habe, wie auch Heinz Strunk, aktiv mit dem Begriff gearbeitet, weil wir beide so unglaublich gescheitert waren. So sehr, dass uns nichts anderes übrig blieb, als später von diesem ständigen Fallen zu berichten. Wir konnten das so pointiert und gut, dass andere darüber lachen und sich aber auch darin wiederfinden konnten. So ist für mich und Heinz daraus ein Geschäftsmodell entstanden. Ob das dann letztlich ein echtes Scheitern ist, wenn man daraus Profit schlagen kann? Ich finde, ich kann mit gutem Recht mein eigenes Scheitern und meine eigenen Depressionen ausbeuten. So habe ich die Depression übrigens auch in den Griff bekommen. Ich habe die Zügel in der Hand, sie ist nicht mehr mein Herrscher, ich kann mich über sie lustig machen. Das ist für mich ein Glücksfall.
Wie sind Sie denn nach diesen Momenten des Scheiterns wieder auf die Beine gekommen?
Ich habe in meinem Leben immer und immer wieder darüber nachgedacht, mich umzubringen. Der Gedanke war da, als Option. Wenn man das aber nicht will, wenn man denkt, das geht so nicht, gerade wenn man ein Kind hat, dann kann man lernen, über den Humor eine Art Aufsicht auf die ganze Jämmerlichkeit zu entwickeln. So kann man eine Distanz dazu herstellen. Und aus der Distanz fällt einem auf, dass so manches Problem eigentlich ein Allerweltsproblem ist. Man ist in seinem Leiden nicht so speziell und außergewöhnlich, wie man vielleicht als junger Mensch meint. Das zu verstehen, kann befreiend sein. Und darüber dann zu berichten, kann sehr komisch sein. Bei Studio Braun haben wir da viel voneinander gelernt.
Humor als Waffe gegen Depressionen
Wenn man den Humor als Waffe gegen die eigene Depression nutzt, die Depression also mit der Kreativität verknüpft ist: Ist sie dann sogar Bedingung für das kreative Schaffen?
Künstler, die nie gelitten haben, können keine wirklich interessante Kunst machen. Wer immer total happy und gut drauf ist, der setzt sich nicht mit seinen dunklen Schichten und tiefen Abgründen auseinander, der wird eher Moderator in einem Gute-Laune-Format. Ich hätte mir gewünscht, ich hätte mich nicht so tief in diese Abgründe begeben müssen, aber es hat mir für meine Kunst und meine Musik Einsichten ins Sein gebracht, die ich nicht missen möchte. Ich will aber nicht sagen, dass es notwendig ist, so tief zu fallen, damit die Kunst Spannbreite und Relevanz bekommt. Aber die meisten Künstler und Künstlerinnen, die Kunst machen, die ich verehre, die sind mal irgendwo in diesen Schichten gewesen.
Finden Sie es gut, dass das Thema „Mental Health“ im Showgeschäft immer häufiger Thema ist? Oder haben Sie eher Sorge, dass es zu einer PR-Masche verkommen könnte?
Soziale Medien und Mental Health
Das ist definitiv so, das ist in den letzten Jahren schon mehr und mehr passiert. Die Erzählung: Der Mann hat Probleme gehabt, hat sich aus seinem Tief wieder heraus gekämpft, und jetzt ist das neue Album da: Das sind so diese typischen Heldenreisen, die ich ganz schrecklich finde. Und dennoch gehört so etwas zu einer Künstler-Biografie eben oft dazu. Ich bin da immer erst einmal skeptisch, wenn diese Biografie so vor sich hergetragen wird. Man merkt ja recht schnell, wenn man sich die Musik anhört oder das Buch liest, ob da einer kokettiert oder die Person wirklich etwas zu erzählen hat.
Haben Sie Selbschutzmechanismen? Halten Sie sich von Social Media fern?
Von Social Media kann ich mich nicht fernhalten. Das ist die einzige Chance, mich in der Öffentlichkeit zu bewegen, weil meine Medien wie „Spex“ und Co. unter dem Druck von Social Media verdampft sind. Ich bin der größte Feind von Social Media, muss sie aber dennoch nutzen. Zu den alternativen Plattformen im Fediverse wie z.B. Mastodon sind leider bisher zu wenige Leute mitgegangen. Kritiken lese ich mir lieber nicht durch, weil ich dazu neige, Kritikern zu glauben. Wenn jemand etwas Schlechtes über mich schreibt, dann stimmt vermutlich.
Neues Album in der Pipeline
Fürs nächste Jahr haben Sie ein neues Album angekündigt. Finanziert wird das durch eine Art Crowdfunding.
Die Labels haben heute keine Kohle mehr für Indie-Produktionen wie meine. Die großen Label stecken ihr Geld nur in Mainstream-Acts. Das ist die Schuld von Spotify und Co., die haben den Markt kaputtgemacht. Wer wie ich dennoch Alben produzieren will, muss auf Supporter-Plattformen zurückgreifen. Leute, die mich und meine Musik gut finden, können mich bei Steady supporten. Ich hoffe, dass sich bis Anfang 2026 genug Geld angesammelt hat, dass ich anfangen kann, zu arbeiten.
Viele Indie-Künstler versuchen, die Streaming-Plattformen zu umgehen und bieten ihre Musik nur analog, etwa auf Vinyl, an.
Das ist auch mein Gefühl. Im Grunde fahre ich eine ähnliche Strategie. Meine Supporter bekommen das Album zuerst. Es wird dann wahrscheinlich auf Vinyl rauskommen, eventuell als CD und MC. Ob es dann auf die Streaming-Plattformen kommt, weiß ich noch nicht so genau. Es gibt ja zumindest alternative Streaming-Plattformen, die weitaus bessere Saläre an die Künstler auszahlen und auch eine bessere Audio-Qualität liefern. Es wird ein Weg gefunden werden.
Wird es neue Songs auch in Heidelberg zu hören geben?
Nein, das ist eine 40-Jahre-Revue, mit der ich da unterwegs bin. Es gibt ausgewählte Texte zu hören, auch bis dato unveröffentlichte, eben erst gefundene. Und Songs, die ich seit 20, 30 Jahren nicht mehr gespielt habe, zusammen mit jüngerem Material. Komplett neue Songs spiele ich bewusst nicht, es geht jetzt erst einmal um die letzten 40 Jahre.

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