Bruce Springsteen in Frankfurt (foto: Fiege)

Live: Bruce Springsteen in Frankfurt – Den Regenmacher in die Wüste geschickt

Rock-Ikone Bruce Springsteen teilt bei seinem ausverkauften Konzert am Mittwoch in Frankfurt gegen den US-Präsidenten Donald Trump aus. Wut, Verzweiflung, Trauer bestimmen seine Ansprachen an die 44.500 Zuschauer, aber auch die Hoffnung auf ein besseres Morgen. 

Verachtung, nichts als pure Verachtung ist rauszuhören, als  Bruce Springsteen den Refrain zu „Rainmaker“ druckvoll ins Mikrofon donnert. Ein Song aus dem jüngsten Album „Letter To You“, in dem die Rock-Ikone aus New Jersey die Verführungskraft von politischen Scharlatanen ins Visier nimmt, der Regenmacher dient hier als Metapher für den Demagogen, in den die Besorgten und Verängstigten Vertrauen und Hoffnung setzen, was dieser dann natürlich schamlos missbraucht. „Sometimes folks need to believe in something so bad, so bad, so bad, they’ll hire a rainmaker.“ Manchmal müssen die Menschen so sehr an etwas glauben, dass sie einen Regenmacher anheuern.

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Man muss keinen besonders ausgeprägten detektivischen Spürsinn besitzen, um sich zu erschließen, an wen Springsteen bei dieser Zeile denkt. Der Regenmacher ist an diesem Abend in Frankfurt allgegenwärtig, mit ihm, Donald Trump, hat sich Springsteen in den vergangenen Wochen mehrere verbale Scharmützel geliefert. 

Abrechnung mit Trump

Springsteen nutzt auch die Auftritte seiner aktuellen „Land of Hope & Dreams“-Tour für eine Abrechnung mit dem amtierenden US-Präsidenten. „Das Amerika, über das ich geschrieben habe, das für 250 Jahre ein Leuchtfeuer der Hoffnung und Freiheit war, ist nun in der Hand einer korrupten, inkompetenten und verräterischen Regierung“, schimpft Springsteen. Und damit ihn in Frankfurt auch wirklich jeder versteht, laufen sogar deutsche Untertitel über die großen Leinwände, wenn der Boss über die Heimat spricht und das, was dort gerade schief läuft.

Und das ist so einiges. „Es passieren gerade sehr seltsame, merkwürdige und gefährliche Dinge da draußen. In Amerika werden Menschen verfolgt, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung nutzen und ihre abweichende Meinung äußern. Das passiert jetzt“, so Springsteen, und weiter: „In Amerika finden die reichsten Männer Gefallen daran, die ärmsten Kinder der Welt Krankheit und Tod zu überlassen. Das passiert jetzt. In meinem Land empfinden sie sadistisches Vergnügen an dem Leid, das sie loyalen amerikanischen Arbeitern zufügen. Sie schrauben historische Bürgerrechtsgesetze zurück, die zu einer gerechteren und pluralistischen Gesellschaft geführt haben.“

Inoffizieller Botschafter der USA

Die Regierung, so Springsteen, lasse  große Verbündete im Stich und verbünde sich stattdessen mit Diktatoren gegen diejenigen, die für ihre Freiheit kämpfen. „Sie entziehen amerikanischen Universitäten die Mittel, die sich ihren ideologischen Forderungen nicht beugen. Sie holen Einwohner von amerikanischen Straßen und deportieren sie ohne ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren in ausländische Internierungslager und Gefängnisse. Das alles passiert jetzt“, zählt Springsteen auf und stellt der politischen Klasse in den Vereinigten Staaten ein vernichtendes Zeugnis aus: „Die Mehrheit unserer gewählten Vertreter hat es versäumt, das amerikanische Volk vor den Übergriffen eines unfähigen Präsidenten und einer Schurkenregierung zu schützen. Sie haben kein Interesse daran und keine Ahnung davon, was es bedeutet, zutiefst amerikanisch zu sein.“

Springsteen hat das. Der mittlerweile 75-Jährige ist seit jeher eine Art inoffizieller musikalischer Botschafter des Landes, einer, der den amerikanischen Traum und seinerzeit als zutiefst amerikanisch empfundene Werte und Ideale wie Demokratie und Freiheit verkörpert und in die Welt trägt.  Ohne die Schattenseiten des Landes zu verleugnen, ganz im Gegenteil. Immer und immer wieder hat Springsteen die Geschichten der Außenseiter und Abgehängten erzählt, in der Hoffnung auf ein besseres, faireres Morgen. Der große Traum von Gerechtigkeit. Ob Springsteen mittlerweile wohl glaubt, einer Lebenslüge aufgesessen zu sein? „Is a dream a lie if it don’t come true … Or is it something worse?“, singt er in „The River“.

Für Trumpisten ein Feindbild

Springsteen, jahrzehntelang als Held der Arbeiterklasse gefeiert, trifft die politische Spaltung des Landes. Emotional, aber auch ökonomisch. „Dass Bruce die Demokraten unterstützt, hat uns in den USA etwa die Hälfte unseres Publikum gekostet“, sagte Steven Van Zandt, Chef der E Street Band, neulich in einem Interview. Springsteen ist im eigenen Land nicht mehr länger das Sprachrohr der Arbeiterklasse (wozu auch die gesalzenen Ticket- und Merchandising-Preise ihren Teil beitragen dürften). Für Trumpisten ist er spätestens seit dem öffentlich ausgetragenen Disput mit dem Präsidenten sogar ein Feindbild.

Aber dennoch: Der Boss gibt nicht auf. Er  gibt sich kämpferisch. Auch wenn die Traurigkeit und Verzweiflung über das, was da gerade in den USA geschieht, in jeder Minute greifbar und hörbar ist, versprüht Springsteen doch auch immer etwas Hoffnung: „Das Amerika, von dem ich seit 50 Jahren sang, ist real und ungeachtet seiner Fehler ein großartiges Land mit einem großartigen Volk. Deshalb werden wir diese Zeit überstehen.“ Seine Hoffnung schöpft er dabei aus den  Worten des amerikanischen Schriftstellers James Baldwin: „In dieser Welt gibt es nicht so viel Menschlichkeit, wie man sich wünschen würde, aber es gibt genug.“

Smarte Setlist

Die Setlist in Frankfurt ist smart kuratiert, sie ist kein gewöhnliches Best-Of, sondern transportiert durchaus die Botschaften, die Springsteen an diesem Abend aussenden will. Los geht es mit „No Surrender“, aus dem 1984er Erfolgsalbum „Born in the U.S.A.“ stammend und immer noch erschreckend aktuell. In „Land of Hopes and Dreams“ lässt der Boss den Zug ins gelobte Land fahren, man brauche kein Ticket, müsse nur aufspringen. Hoffnung schimmert auf in „Atlantic City“: „Maybe everything that dies someday comes back“, Hoffnung auf bessere Zeiten, in denen man vielleicht zu sich selbst zurückfindet. Auch wenn es bis dahin ein langer, steiniger Weg sein könnte, wie „Long Walk Home“ andeutet. Gänsehaut bei Zeilen wie „Your flag flyin’ over the courthouse means certain things are set in stone. Who we are, what we’ll do and what we won’t“. 

Als der Boss den Song 2007 veröffentlichte, hat er noch nicht ahnen können, dass genau das in nicht allzu ferner Zukunft keine Gültigkeit mehr haben würde, dass Rechtsstaatlichkeit in den USA nicht garantiert ist – und moralische Leitplanken und das amerikanische Selbstverständnis sind es auch nicht. Man merkt Springsteen den Schmerz über die neue inhaltliche Dimension dieser Zeile deutlich an.

Auch, wenn Springsteen anders als früher seine Setlist nun vorab akribisch zusammenstellt, mit ihr eine Geschichte erzählen will, und nicht mehr spontan auf jeden Publikumswunsch eingeht, dauert ein Konzert immer noch beinahe drei Stunden. Man kann nicht umhin, den Boss für seine Energie zu bewundern, der Mann benötigt keine Pause, gibt nonstop Gas. Stimmlich hat er immer noch Druck. Viele jüngere Sänger steckt er immer noch locker in die Tasche, zumal man Springsteen immer noch jede Emotion abnimmt. 

Sound lässt zu wünschen übrig

In Sachen Spielfreude und Können steht ihm seine langjährige Begleitkapelle, die E Street Band, in nichts nach. Auf der aktuellen Tour kommt sie vergrößert daher, es sind zusätzliche Blechbläser, Perkussionisten und Background-Sänger mit von der Partie. Schade, dass der Sound im Deutsche Bank Park, im Herzen immer noch das Waldstadion, den Fähigkeiten der Auftretenden nicht ganz gerecht wird.

Der Zugabenteil allein umfasst am Mittwochabend sieben Titel. „Born in the U.S.A.“ eröffnet ihn, hier lässt Springsteen nun noch ein paar seiner ganz großen Hits vom Stapel, seine Geschichte hat er erzählt, jetzt ist Party angesagt. „Bobby Jean“, „Born to Run“ und „Dancing in the Dark“, „Tenth Avenue Freeze-Out“, das Publikum verliert sich in der Nostalgie. Am Ende: das obligatorische „Twist and Shout“, und, an die Botschaft des Abends anknüpfend, ein Bob-Dylan-Cover: „Chimes of Freedom“. Springsteen kündigt den Protestsong aus dem Jahr 1964 als eines der größten, jemals geschriebenen Lieder über Freiheit an. Man möge es im Herzen mit nach Hause nehmen.

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