Heinz Strunk - Kein Geld, kein Glück, kein Sprit (foto: Rowohlt)

Heinz Strunk – Kein Geld, kein Glück, kein Sprit

Erscheinungsdatum
Juli 15, 2025
Verlag
Rowohlt
Unsere Wertung
8

Gescheiterte Existenzen und ihre Abgründe: Der Schriftsteller Heinz Strunk widmet sich in seinem neuen, gewohnt schrägen Kurzgeschichten-Band „Kein Geld, kein Glück, kein Sprit“ wieder vornehmlich den Außenseitern in ihren ganz persönlichen Grenzsituationen – und lässt den Leser dabei sowohl lachen als auch schlucken.

Die Welt, in die uns Heinz Strunk (63) auf 192 Seiten entführt, ist düster. Da ist etwa die Geschichte des prominenten Sprechers, bekannt aus Funk und Fernsehen, jahrelang beliebt, dessen allgegenwärtige Stimme den Leuten irgendwann so sehr auf den Keks geht, dass sie aggressiv werden, sobald er auch nur den Mund aufmacht. In der Story „Nasofrontaler Winkel“ geht es um Viola, die sich von einer angeblichen Schönheitschirurgen-Koryphäe die Nase verschönern lassen will und den Schock ihres Lebens erfährt. In „Der allererste Tag im Grab“ widmet sich Strunk der Frage, was sich die Seele eines Toten, gerade frisch Begrabenen, in seiner letzten Ruhestätte so denkt, konfrontiert mit der Ewigkeit. Und ach ja, mit Strunks schon legendärer Romanfigur Jürgen Dose gibt es in diesem Band ein Wiedersehen.

anzeige

Ein Lebensdrama in wenigen Worten

Es sind 36 Geschichten, die uns der Hamburger in „Kein Geld, kein Glück, kein Sprit“ (der Titel ist eine Hommage an Wilhelm Genazinos Werk „Kein Geld, keine Uhr, keine Mütze“ aus dem Jahr 2018) auftischt. 36 Realitätssplitter, auf feinen Beobachtungen fußend, sprachlich präzise und dem Strunk eigenen Witz niedergeschrieben. Geschichten über Menschen, die scheitern, so schmerzhaft, dass es einem als Leser einen Stich versetzt. Die Protagonisten: Verlierer, Piefkes, purer Durchschnitt, Mittelmaß. Figuren, die, sich ihrer Belanglosigkeit bewusst, oft hoffnungslos gerieren. Manche wiederum sind boshaft, andere wirken eher abgestumpft oder gar verzweifelt. Mal sind die Erzählungen mehrere Seiten lang, mal bestehen sie nur aus wenigen Sätzen. Um das ganze Lebensdrama eines Mannes einzufangen, benötigt Strunk zum Beispiel nur wenige Worte: „Die einzige Fähigkeit, über die er verfügt, ist, dem Briefkasten anzusehen, ob Post drin ist. Neun von zehn Treffern, er weiß auch nicht, wie er das macht. Aber was soll er damit anfangen?“, lautet die Kurzgeschichte „Sein einziges Talent“ in ihrer vollen tragischen Pracht.

Die Bandbreite an Tragik, an grauer Existenz, ist umfangreich. Mal sind es fast harmlose Begebenheiten. So erzählt Strunk etwa von einer Frau, der am Tag vor Weihnachten „ihr größter Coup“ gelingt. Als sie an der Kasse des Supermarkts all ihre Einkäufe aufs Band gelegt hat, die Schlange hinter ihr ist unendlich lang, bemerkt sie, dass ihr die Zitronen fehlen. „Ausgerechnet Zitronen, Dreh- und Angelpunkt ihrer Weihnachtsmenüs (Pasta mit Lachs und Zitronen, Zitronenrisotto, Lammkotelett in Zitronen-Knoblauch-Marinade)“. Sie steht kurz vor dem Nervenzusammenbruch, als ihr auffällt, dass der Kunde vor ihr seine Bio-Zitronen direkt vor dem Warentrenner platziert hat. Listig lässt sie die Zitronen auf ihre Seite der Abgrenzung fallen. „Niemand hat etwas gemerkt, Weihnachten ist gerettet“. 

Ein Herz für Außenseiter

Deutlich dramatischer fällt im Kontrast dazu die Story von Sonja aus, die sich, ohnehin nicht sonderlich am Leben hängend, wegen eines penetranten, chronischen Schluckaufs entschließt, Selbstmord zu begehen. Sie will von der Hamburger Köhlbrandbrücke springen …

Strunk, bürgerlich Mathias Halfpape, hat ein Herz für Außenseiter, begegnet ihnen mit Härte, aber nie mit Häme. Obwohl er so viel Tristesse auf sie regnen lässt, ist da eine gewisse Empathie, ja, fast schon Mitleid zu spüren. Er selbst ging ja ebenfalls lange durch harte Zeiten.  Strunk wuchs in schwierigen Verhältnissen auf, die Mutter alleinerziehend, oft in der Psychiatrie, sogar einen Selbstmordversuch hatte sie hinter sich, Am Ende war sie bettlägerig. Vier Jahre lang, bis zu ihrem Tod, pflegte Strunk sie. Er selbst: als junger Mann Akne gebeutelt, nach Cannabis-Konsum an einer Psychose erkrankt, lange depressiv, als Künstler gelang ihm erst mit über 40 Jahren mit dem Buch „Fleisch ist mein Gemüse“ der Durchbruch, in der er auch seine Zeit als Tanzmusiker in der Provinz verarbeitete. Bestsellerautor Strunk hat das Leben von allen Seiten kennengelernt, vielleicht versteht er die Außenseiter deshalb so gut.

Mit „Kein Geld, kein Glück, kein Sprit“ beweist Strunk, der zuletzt „Zauberberg 2“ veröffentlichte, dass er nicht nur die Lang-, sondern auch die Kurzstrecke beherrscht. Vielleicht gelingt es ihm und seiner gelungenen Mixtur aus Tragik und Komik ja, die in Deutschland – ganz anders als etwa in den USA – stets zu Unrecht stiefmütterlich behandelte Literaturgattung „Kurzgeschichte“ endlich auch hierzulande salonfähig zu machen. 

8
Strunk macht die Kurzgeschichte wieder salonfähig.
Hier kaufen

anzeige

Zeen is a next generation WordPress theme. It’s powerful, beautifully designed and comes with everything you need to engage your visitors and increase conversions.

Zeen Subscribe
A customizable subscription slide-in box to promote your newsletter
[mc4wp_form id="314"]
WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner