Ein Jahr nach der Veröffentlichung ihres Meilensteins „Non-Stop Erotic Cabaret“ ließen Marc Almond und Dave Ball aka Soft Cell gleich den nächsten Arbeitsnachweis vom Stapel: „Non Stop Ecstatic Dancing“ – nicht weniger als das erste Remix-Album der Welt.
Sie sind Legenden der 1980er Jahre: Soft Cell, das Synthie-Pop-Duo bestehend aus David Ball und Marc Almond. Die beiden Briten hatten sich 1978 am Leeds Polytechnic kennengelernt, 1979 dann das gemeinsame musikalische Projekt ins Leben gerufen. „Marc und ich hatten die Punk-Ära hinter uns, wollten aber etwas Futuristischeres machen. So etwas wie Throbbing Gristle und Cabaret Voltaire, aber etwas lyrischer“, erinnerte sich Ball 2021 in einem Interview mit „Mojo“. Ihre Idee: eingängige, aber ein bisschen abseitige, verdrehte Pop-Songs erzeugen. Und das, ohne die großen Ambitionen, wie Ball in besagtem Interview gestand: „Wir waren nur zwei schräge Typen von der Kunsthochschule – in den Charts zu landen, war nie unser Ziel. Wir waren Elektro-Punks. Wir haben uns nie als ,New Romantics‘ gesehen. Wir waren nicht so ambitioniert wie Spandau Ballet oder Duran Duran. Hätten wir ein Video auf einer Yacht gedreht, wäre die untergegangen. Ein Kanu wäre eher unser Ding gewesen.“
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Nach einer ersten EP (1980) und einem Song, den sie zu einer Compilation beisteuerten, wurden Soft Cell von dem Label Some Bizarre unter Vertrag genommen. „Memorabilia“, die erste offizielle Single des Duos, kam zwar in den britischen Nachtclubs an, verkaufte sich aber nicht wirklich gut. Dennoch gab es vom Label eine zweite (und letzte) Chance. Die nächste Single, das wurde den beiden klar gemacht, musste zünden.
Vom Flop zum Hit
Überraschend entschieden sich Ball und Almond, den Song „Tainted Love“ zu covern. Eine Northern-Soul-Nummer, von Ed Cobb geschrieben und 1964 von Gloria Jones aufgenommen, als B-Seite ihrer Flop-Single „My Bad Boy’s Comin‘ Home“. In den 1970er Jahren erlebte der Track dank des DJ Richard Searling eine Renaissance und avancierte zum Northern-Soul-Hit. Nun also wagten sich Soft Cell an den Titel. Ein Wagnis. Aber eines, das sich auszahlte. Das Ding landete in 17 Ländern auf Platz eins der Charts – unter anderem im Vereinigten Königreich. Auch befeuert durch eine mittlerweile als ikonisch geltende „Top Of The Pops“-Performance des Duos.
Mit dem Hit im Rücken verkaufte sich auch das Debüt-Album „Non-Stop Erotic Cabaret“ gut, das im Vereinigten Königreich auf Platz fünf ging. Benannt wurde es nach einer Neon-Reklame im Londoner Soho-Viertel, aufgenommen aber in New York City. “Das Album war die Kehrseite der Medaille von Margaret Thatchers Großbritannien: Damals hatte ich nie das Gefühl, dass es politisch war, aber heute scheint es das zu sein. ‘Non-Stop Erotic Cabaret’ war das geheime, zwielichtige Leben, das sich hinter der Maske des konservativen Großbritanniens abspielte”, beschreibt Marc Almond die Platte.
Gewollte Provokation
Tatsächlich war „Non-Stop Erotic Cabaret“ ein gewollt sleaziges, provokatives Album. Eine Musik gewordene Peep-Show. Klingende Sünde. Dirty. Beim Video zu „Sex Dwarf“ übertrieben es Soft Cell so sehr, dass es verboten wurde. Das ließ den Titel lange in der Versenkung verschwinden. Was schade ist, weil er so vollgepackt mit elektronischen Spielereien und Sperenzchen ist, dass man bei jedem Hören wieder etwas Neues entdecken kann.
Es gibt einige Juwelen, die durch „Tainted Love“ überschattet wurden und zu Unrecht in Vergessenheit geraten sind. Zum Beispiel der pulsierende Opener „Frustration“. Oder „Bedsitter“, das den Vibe am Morgen nach einer durchzechten Nacht im Club wunderbar beschreibt. „Pitchfork“ beschrieb die Musik der Platte mal als Schnappschuss des queeren Lebensgefühls vor AIDS – und traf damit den Nagel auf den Kopf. Es war eine Zeit, in der man in der Community noch das Gefühl hatte: Anything goes. Songs wie „Seedy Films“ (über eine Begebenheit in einem Pornokino), „Secret Life“, „Entertain Me“ und „Say Hello, Wave Goodbye“ (über eine Liasion mit einem Sex-Worker) unterstreichen das. Offiziell bekannt hatte sich Almond damals zu seiner Homosexualität zwar noch nicht, die Hinweise waren aber so eindeutig, dass Almond zur Zielscheibe homophober Hater wurde.
Die Platte war überaus erfolgreich. Zum einen kommerziell: Platz fünf im UK (Platin!), Platz 22 in den US-Billboard Charts, Platz 23 in Deutschland. Aber auch die Kritiker jubelten.
Remix-Album folgt auf Welterfolg
Der Erfolg gab Soft Cell mächtig Aufwind. Plötzlich war die Band auf dem britischen Pop-Olymp angekommen, die Platte blieb noch für den größten Teil des Jahres 1982 in den Charts. Und so musste das Eisen natürlich geschmiedet werden, solange es heiß war. Ehe es im Sommer 1982 an die Arbeiten zum zweiten Album ging („The Art of Falling Apart“, erschien letztlich 1983), entschied sich die Band ein Mini-Album zur Überbrückung zu veröffentlichen.
Der Clou: Es bestand zum großen Teil aus Remix- und Instrumental-Versionen der Songs des Debütalbums und früherer Singles. Das Ganze war also maximal tanzbar, die Songs gingen überdies mehr oder weniger ineinander über. Non Stop Dancing eben. Auf die Ohren gab es etwa jeweils einen Remix von „Sex Dwarf“ und „Chips On My Shoulder“ aus dem Erstling, Dazu: eine Remix-Version von „Where Did Our Love Go“ und neu eingespielte Varianten von „Memorabilia“ und „A Man Could Get Lost“. Mit „What“ hatten Soft Cell auch ein weiteres Cover im Angebot. Im Original auch ein Northern-Soul-Stück, 1966 von Judy Street veröffentlicht, womit man ohrenscheinlich versucht hat, das Erfolgskonzept von „Tainted Love“ erneut zu fahren. Für den Versuch sprang immerhin Platz drei der UK-Singles-Charts heraus.
„Hätte besser sein können“
Das Remix-Album-Konzept ist heute gängig, war damals aber noch ein Novum. Insofern waren Soft Cell hier Wegbereiter. Auch wenn The Human League und The B-52’s quasi parallel dazu eine ähnliche Idee hatten, mit dem Release ihres Remix-Albums „Love and Dancing“ aber ein paar Wochen zu spät dran waren.
Wie Marc Almond später in einem Interview mit Simon Tebbutt zu Protokoll gab, entstand das ganze Projekt wohl auch unter dem Einfluss von Ecstasy, der Gute jobbte damals in The Warehouse, einem angesagten Nachtclub in Leeds. In den Liner Notes sagt er ehrlich: „Das Album hätte besser sein können. Heute würde ich wohl gerne ein paar Latin- und R&B-Experten hinzuziehen, um den Dance-Charakter der Remixe noch besser herauszuarbeiten. Man merkt der Platte an, dass wir erste Auflösungserscheinungen hatten und nicht so professionell, sondern hedonistisch agierten.“
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