Wiedersehen mit einem Klassiker der 1990er Jahre: Capitol Records legt das dritte Mazzy-Star-Album „Among My Swan“ auf Vinyl neu auf. Ein Meisterwerk des gedrosselten Tempos, auf das wir aus diesem Anlass noch einmal blicken wollen.
Lange bevor es Lana Del Rey gab, waren Mazzy Star die Könige der Musik gewordenen Traurigkeit. Die amerikanische Alternative-Rock-Band, im Kern bestehend aus David Roback (1958 bis 2020) und Hope Sandoval (*1966), war mit ihrer ultramelancholischen Mischung aus Dream-Pop, Psychedelic Rock, Folk, Blues und Indie-Rock zweifellos Wegbereiter für vieles, was da noch folgen sollte. Ihr Einfluss ist auch heute noch bei vielen Bands spürbar, etwa bei Beach House, Cigarettes After Sex – oder eben Lana Del Rey. Dabei blieb die 1988 gegründete Gruppe über lange Zeit ein Underground-Phänomen, ehe die Single „Fade Into You“ (1993) auch endlich den Mainstream auf die Klasse der Band aufmerksam machte. Zumindest vorübergehend. Sträflicherweise sollte die Nummer, die später in unzähligen TV- und Kinoproduktionen auftauchte, nämlich die einzige Billboard-Top-100-Platzierung der Kalifornier markieren. Das dazugehörige Album „So Tonight That I Might See“ – ein Klassiker der 1990er Jahre.
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Entsprechend hoch waren die Erwartungen an den Nachfolger. Natürlich hat man, mit dem Erfolg des Vorgängers im Rücken, seinerzeit kräftig die Werbetrommel gerührt. Und das mit einer langfristig angelegten Strategie. Mit „Tell Me Now“ erschien ein Outtake des Albums 1995 auf dem Soundtrack zu „Batman and Robin“, der Track „Rhymes of an Hour“ noch vor Album-Release auf dem Soundtrack zu „Stealing Beauty“ (mit Jeremy Irons und Liv Tyler). Unter Plattenläden wurde damals ein Wettbewerb ausgelobt, wer das Album am besten promotet. Der Gewinner-Laden konnte sich über einen Auftritt der Band vor Ort freuen. Der „Lohn“ für all die Mühen: Am Ende sprang nur Platz 68 in den USA für die Band heraus – nicht das, was man sich vorgestellt hatte.
Viele vergessene Perlen
Dabei fällt „Among My Swan“ keineswegs gegenüber den beiden Vorgängeralben ab. Ja, die Platte ist noch etwas düsterer geraten als „So Tonight That I Might See“, was nicht so ganz zu den Mainstream-Ambitionen des Labels passen mochte. Aber: Die Platte ist stark. Der Sound: homogen (für manche eventuell: zu homogen), die Instrumentierung: eher sparsam. Ein paar akustische und elektrische Gitarren, ein paar Orgel- beziehungsweise Synthesizer-Parts, dazu ein paar Streicher, insgesamt aber weniger Effekte und verzerrte Gitarren. Mazzy Star fuhren den psychedelischen Anteil stark zurück, betonten eher den Folk- und Blues-Part. Und über allem schwebte Sandovals ätherische Stimme. Oft scheint es gar, als würde sie flüstern.
Ja, „Among My Swan“ ist unterschätzt, das Machwerk wurde seinerzeit aus unerfindlichen Gründen ignoriert. Dabei gibt es so viele Perlen zu entdecken. „Look On Down From A Bridge“ ist nicht minder stark als „Fade Into You“, ein tieftrauriges Meisterwerk – und ebenfalls gerne in Film und Fernsehen („Die Sopranos“!) verwendet. Da sind auch die fast schon countryesken Stücke „Flowers in December“ und „Cry, Cry, Cry“ -hörenswert. Das an The Doors erinnernde „Umbilical“ ist ebenfalls ein Geheimtipp. Oder „Take Everything“, bei dem Gitarrist William Reid von The Jesus and Mary Chain ein wunderbares Gastspiel gab. Kurzum: Es gibt viel zu entdecken.
„Among My Swan“ sollte leider für lange Zeit die letzte Platte von Mazzy Star bleiben. Erst 2013 erschien mit „Seasons Of Your Day“ der Nachfolger, in der Zwischenzeit kümmerten sich die Bandmitglieder um ihre eigenen Projekte. Den Fuß vom Gaspedal nehmen – das konnten Mazzy Star eben schon immer gut.
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