Betterov - Große Kunst (foto: Island Records)

Betterov – Große Kunst

Erscheinungsdatum
November 7, 2025
Label
Island Records
Unsere Wertung
9

Mit „Große Kunst“ hat Manuel Bittorf alias Betterov sein lang erwartetes zweites Album vorgelegt – und damit den Nachfolger zum umjubelten Debüt „Olympia“, mit dem der Thüringer 2022 für Furore sorgte. Auf der neuen Platte, die er wieder mit Produzent Tim Tautorat aufgenommen hat, beschäftigt er sich nun mit der Geschichte seiner Familie in der DDR und der Zeit nach der Wende.

Rückblende. 2022 ist Betterov mit „Olympia“ in der deutschen Indie-Szene eingeschlagen wie eine Bombe. Über Nacht trat der 1994 in Bad Salzungen geborene Musiker ins Rampenlicht, trat bei „Late Night Berlin“, „Inas Nacht“ und „Studio Schmitt“ auf, konnte sich über einen ordentlich gefüllten Festival-Sommer und eine ausverkaufte Headliner-Tour freuen. Zwar gab es 2023 nochmal eine Deluxe-Version des Albums (mit neuen Stücken und Gastbeiträgen von Paula Hartmann, Blumengarten und Provinz). Ansonsten wurde es aber still um den jungen Künstler (sieht man mal von einem Beitrag zu einem Wolf-Biermann-Tributalbum ab).

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Eine bewusste Entscheidung. Betterov hat sich zurückgezogen, um durchzuatmen und seine kreativen Kräfte wieder zu bündeln. In der Ruhe nach dem ganzen anstrengenden Tamtam um seine Person wuchs der Entschluss, das eigene Aufwachsen offensiver denn je in den Mittelpunkt eines neuen musikalischen Großprojekts zu stellen. Vielleicht auch eine Folge davon, sich als ostdeutscher Musiker ständig zu ostdeutschen Themen verhalten und erklären zu müssen.

Traumata einer ostdeutschen Familie

Am Ende dieser gedanklichen Reise steht nun ein zweites Album. „Große Kunst“ heißt das gute Stück, musikalisch irgendwo im Spannungsfeld zwischen New Wave und Indie-Rock zu verorten, ausladend, opulent, fett arrangiert, mit Orchester-Begleitung, mit eleganten Übergängen zwischen den Songs. Die große Geste, allerdings nicht großkotzig gemeint.

Die musikalische Dramatik passt dabei zum dramatischen Inhalt, vorgetragen im typischen, brüchigen, emotionalen Betterov-Gesangsstil. Zu den Geschichten, die Betterov – bekennender Springsteen-Fan – hier mit der Welt teilt. „Große Kunst“ handelt von Heimatgefühlen, vom „Was davor geschah“. Von serpentinenartigen Biografien, von Flucht, von Stacheldraht, von Ferngläsern, von einem selbsternannten Friedensstaat, der aus Ruinen auferstand und Ruinen hinterließ. Anstatt von großer Kunst zu singen, singt Betterov von ihrer Absenz – und vom tiefen Riss zwischen Proletariat und Kulturklasse.

Man liest häufig davon, dass ein neues Album nun „das persönlichste“ eines Künstlers sei. Bei Betterov ist das aber mehr als nur PR, textlich geht es bei dem Thüringer durchaus introspektiv und persönlich zu. Auch wenn das bedeutet, in den Tiefen familiärer Traumata zu graben. Nichts ist tabu. Der Erfahrungsschatz seiner Eltern, sein eigenes Aufwachsen in der ostdeutschen Provinz, in der Post-DDR – all das ist die Basis der Künstler-Persona Betterov.

Als Papa in den Westen flüchtete

Eine Zäsur in der Familiengeschichte des Wahl-Berliners, die hier nun auch künstlerisch verwertet wird, hat sich noch vor seiner Geburt ereignet. Am „17. Juli 1989“, dem Tag hat er ein gleichnamiges Lied auf der Platte gewidmet. In den Morgenstunden jenes Tages verabschiedete sich Manuels Vater in den Westen und riskierte – während der Rest des Dorfes schlief – mehrere Jahre in Haft. In dem trügerisch träumerischen Stück darüber zeichnet Betterov jene spektakuläre Republikflucht in die BRD nach. 

„18. Juli 1989“ und „Sag nicht deinen Namen“ verhandeln dann die Konsequenzen, die jene Flucht für die gesamte Familie gehabt hat. „Aus Begegnungen in der Nachbarschaft wurden Vermutungen, schriftlich zusammengefasst“; gleichzeitig verursachten Vernehmungen, in denen die Stasi seine Mutter einzuschüchtern versuchte, ein Generationen-übergreifendes Trauma. Es übertrug sich Jahre später unter anderem in Gestalt des Ratschlags seiner Eltern auf Betterov, draußen auf offener Straße lieber nicht zu viel Identität preiszugeben – „unser Name stand in Akten, das wirst auch du nicht los“. Dem Vater, einem Truck-Fahrer, widmet Betterov auch „Papa fuhr immer einen großen Lkw“, sein Leben on the road ist eine kleine Parallele im ansonsten doch so unterschiedlichen Leben von Arbeiter-Papa und kunstschaffendem Sohn.

Es sind natürlich vor allem diese durch und durch autobiografisch gefärbten Songs, die haften bleiben. Ein Song wie „So High“ fallen da, obwohl nicht schwach, im Gegensatz dazu etwas ab. Dass Betterov durchaus die eigenen, inneren Turbulenzen gekonnt zu vertonen weiß, beweist er auf der Platte mit Songs wie „Mücken Song“, „Alles nur ein Film“ oder „In meinem Zimmer spielen sich Dramen ab“.

Ein Happy End?

Es geht aber nicht nur schwermütig zu. Betterovs Suche nach einem wie auch immer gearteten Happy End scheint in den letzten Akten des Albums Früchte zu tragen. Im Zuge des schmiegsamen Liebeslieds „Immer die Musik“ bedankt er sich bei der Retterin seines Lebens – „Wenn ich dachte, ich bin besiegt, jetzt sink’ ich durch bis in das Nichts‘, war da immer die Musik“. In diesem Moment scheint sich auch der Heimatdiskurs wie selbstverständlich in Wohlgefallen aufzulösen; die Gitarre, das Klavier, der Textblock, der Reim, die Bühne, die Band, der Nightliner – das ist heute Betterovs Zuhause und hoffentlich die Lösung des Dilemmas seines Lebens.

Anspieltipps
17. Juli 1989
18. Juli 1989
Mücken Song
Große Kunst
Papa fuhr immer einen großen Lkw
9
Große Kunst, im wahrsten Sinne.
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