Ex-Genesis-Gitarrist Steve Hackett bleibt weiter umtriebig. Nachdem er erst 2024 das Studioalbum „The Circus and the Nightwhale“ veröffentlicht hat, legt der Brite nun mit einem neuen Live-Album nach. „The Lamb Stands Up Live at the Royal Albert Hall“ ist soeben via InsideOutMusic/Sony Music erschienen.
Keine Frage: An Genesis schieden sich immer die Geister. Für die einen waren die Briten echte Prog-Rock-Götter. Höchst talentiert und innovativ. Für die anderen waren Genesis zu artsy und zu Middle Class, und damit eine echte Bedrohung für die Rock-Musik, deren Stammpublikum sich in den 1970ern doch vor allem aus der Arbeiterklasse speiste. Später, als Phil Collins von Peter Gabriel das Mikro übernahm und die Band ihren Sound grundlegend änderte, waren sie als große 1980er-Jahre-Hitmaschine vielen dann wiederum zu kommerziell. Man kann es den Leuten halt nicht recht machen.
anzeige
Steve Hackett, 1950 in London geboren, war Teil der ersten Genesis-Phase, wenn auch kein Gründungsmitglied. Als Hackett 1970 zur Band stieß, gab es die Kapelle schon gut drei Jahre. Live-Erfahrung hatte der gute Mann damals noch nicht viel. Er war auch – im Gegensatz zum flamboyanten Gabriel – eher der zurückhaltende, introvertierte Typ. An den frühen Erfolgen der Truppe hatte Hackett aber großen Anteil. Er bereicherte den Sound der Band ungemein, steuerte auch vollständige Kompositionen bei – und fiel durch damals unkonventionelle Stile wie Tapping oder Sweep Picking auf. Bereits 1977 aber verließ Hackett die Band. Der Musiker aus London war frustriert, sein Einfluss auf die Kapelle schien über die Jahre mehr und mehr zu schwinden. Gerade mit seinem Kollegen Tony Banks gab es seit dem Abschied Peter Gabriels auch vermehrt Spannungen. Und dann hatte Hackett auch durch ein 1975 erschienenes Soloalbum Blut geleckt und den Drang entwickelt, sich künstlerisch mehr entfalten zu können.
Frieden mit Genesis-Vergangenheit
Seither ist Hackett umtriebig und seit den 1990ern scheint er auch wieder Frieden mit seiner Genesis-Vergangenheit geschlossen zu haben. Dafür spricht, dass Hackett seither live gerne Genesis-Stücke aus den 1970ern spielt – und hin und wieder auch in Eigenregie neu aufnimmt.
2024 hat Hackett zum 50. Geburtstag des Genesis-Konzeptalbums „The Lamb Lies Down On Broadway“ dieses zumindest in Teilen wieder auf die Bühne gebracht. Der legendäre Gitarrist hat sich ein paar seiner Lieblingsstücke der Platte ausgewählt, dazu ein paar Genesis-Evergreens und Solostücke gepackt – und mit diesem Bauchladen an Songs mehrere Shows gespielt. Darunter im Oktober eine Show in der ikonischen Royal Albert Hall in London. An diesem besonderen Abend wurden er und seine Band von Gästen wie Ray Wilson, Steve Rothery, Amanda Lehmann und John Hackett unterstützt.
Ambition und Inspiration
Dass Steve Hackett „The Lamb …“ auf diese Art und Weise würdigt, ist nicht selbstverständlich. Ja, er hat das schon mit einer ganzen Reihe von Genesis-Machwerken gemacht. Aber: Schließlich war ihm dieses Album, als er noch mit Genesis aufnahm, gar nicht so geheuer. Zumal sein Beitrag dazu seinerzeit überschaubar war – und die Platte somit ein bisschen der Anfang vom Ende für ihn. Vielleicht ist er aber eben auch deshalb so schmerzfrei, wenn es darum geht, dieses Konzeptalbum hier aufzubrechen und durcheinander zu wirbeln.
Neun Stücke aus „The Lamb …“ werden hier kredenzt. Die Auswahl birgt dabei keine großen Überraschungen. „Fly On A Windshield“ (mit Steve Rothery liefert er hier einen genialen Call-and-Response-Gitarrenpart ab) und „Carpet Crawlers“ (mit Ray Wilson – immer noch sträflich unterschätzt) sind hier die Glanzlichter. Auch “The Chamber of 32 Doors” und “The Lamia” gefallen, Sänger Nad Sylvan kommt hier recht nah an Peter Gabriel ran. Musikalisch halten sich Hackett und Band eh sehr ans Original. Es ist in den vergangenen Jahrzehnten vor allem sein Verdienst, dass Fans noch die Möglichkeit haben, die Perlen dieser Zeit noch einigermaßen authentisch live erleben zu können.
Auch Solo-Stücke überzeugen
Die eigenen Stücke, mit denen Hackett die Show eröffnet hat, mögen zwar nicht ganz so hell strahlen wie die Klassiker, aber sie funkeln ansprechend. Die meisten stammen aus „The Circus and the Nightwhale“. „People of the Smoke“ ist als Einstieg gleich mal ein rockiges Statement. Ein Glanzlicht, aber auch die beiden folgenden Tracks „Circus Inferno“ und „These Passing Clouds“ können sich hören lassen. Schön zu hören, dass da einer auch im Alter noch mit Ambition und Inspiration zu Werke geht. Steves Bruder John geht ihm dann beim atmosphärischen Instrumentalstück „Hands of the Priestess“ zur Hand, das die Platte ebenfalls bereichert.
Das Zusammenspiel der Band ist tight, Genesis-Fans werden an der Platte ihre Freude haben. Zumal sie auch klanglich ein Erlebnis ist. Wer mag kann statt zum schmucken 4LP-Set auch zum 2CD-Blu-ray-Digipak greifen, der Mitschnitt ist in mehreren Variationen erschienen.
anzeige



