Ghostwoman feiern die Bedeutungslosigkeit. Über ihr neues, viertes Album sagen sie, es gebe eigentlich gar keinen Grund, zu existieren. „Welcome to the Civilized World“ sei in eine kaputte Welt hineingeboren worden – und die Band macht sich keine Illusionen über dessen Vergeblichkeit. Warum man sich die Platte trotzdem anhören sollte.
Ghostwoman sind ein Rock-Duo, bestehend aus dem Kanadier Evan Uschenko und der Belgierin Ille van Dessel. Beide sagen, das Projekt gebe es heute nur, weil die beiden „dumm genug waren, sich darauf einzulassen“. Tatsächlich wurde Ghostwoman von Uschenko bereits 2016 ins Leben gerufen, nachdem er als Multiinstrumentalist auf Tournee war, und zwar in einem verlassenen Farmhaus in Diamond City, Alberta. Dort nahm er zwei Monate lang das selbstbetitelte Debütalbum auf, das auf eigens angefertigten Kassettenbändern produziert und überspielt wurde. Die Musik war schon immer schön unwirtlich und eher für ein überschaubares Publikum gedacht.
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Durch Freunde in Edmonton erweitert, nahm Uschenko das Projekt mit über den großen Teich, wo er im Jahr 2023 schließlich die Schlagzeugerin Ille van Dessel traf. Angezogen von ihrem Talent und ihrer Begeisterung, Musik zu machen, die weder von Ego noch von Zynismus berührt war, wurden die beiden unzertrennlich. Ein neues Leben hatte begonnen.
Eine gemeinsame Vision
Relativ schnell war Evan Uschenko ja schon immer. Seit 2020 ist „Welcome To The Civilized World“ nun das schon vierte Album – und auch schon das zweite im Zusammenspiel mit van Dessel (2023 erschien bereits „Hindsight is 50/50“). Beide bezeichnen den neuen Wurf aber nun als die reine Destillation ihrer gemeinsamen Vision. Denn: Von der ersten Skizze bis zur finalen Form waren Uschenko und van Dessel die einzigen, die daran mitgewirkt haben.
Wenn man so will, ist das Album eine einzige Feier der Bedeutungslosigkeit. Uschenko: „Das Album ist inspiriert von der Absurdität menschlichen Verhaltens und dem Zirkus, der das Leben ist: Manchmal fühlt es sich an, als wäre man in einem Raum ohne Boden – daher kommen viele dieser Songs.“ Nachdem er im vergangenen Jahr Freunde durch Selbstmord verloren hatte, sei die Ungläubigkeit, die man braucht, um sich durch den Alltag zu kämpfen, auf einen Schlag verschwunden. Wenn „Welcome to the Civilized World“ überhaupt einen Sinn habe, dann den, einfach weiterzumachen: Es gibt keine andere Wahl.
So klingt die Platte
Musikalisch ist auf dem Album einiges los. Ghostwoman vermengen hier Psych-Grunge und düstere Americana-Sounds. Uschenko, der für den Gesang zuständig ist, betont, dass dieser nicht wichtig sei. Es geht um die Musik, um den Klang, das Gefühl, weniger um die Worte. Ein Großteil der Texte sei vielmehr Nonsens, nicht geschrieben, sondern abstrakt skizziert, um die Form der Musik selbst zu ertasten.
Aufgenommen wurde sowohl in Kanada als auch in Belgien, und das über einen Zeitraum von gut zwei Jahren. Mal lief die Bandmaschine etwa im Haus eines engen Freundes von Uschenko. Oder in einer Hütte in den belgischen Ardennen während eines endlosen Winters, umgeben von einer Schneedecke, eine Stunde Fußmarsch von allem Zivilisierten entfernt.
Der Aufnahmeprozess findet bei Ghostwoman eher intuitiv statt. Die Klänge entstehen in einer Art Kettenreaktion. „5 Gold Pieces“ beispielsweise, mit seinen dreckigen Gitarren und dem knurrenden, lebendigen Gesang wurde als Test aufgenommen, nachdem sie eine Bandmaschine gekauft hatten. Die erste Aufnahme ist oft die beste, und dieser Test ist das, was man heute hört. Alles, was sie zum Aufnehmen benutzt haben, ist verschwunden. „Wir kaufen altes Equipment oder Instrumente, in denen noch eine Menge Leben und Seele steckt, bis wir alles aufgebraucht haben, und verkaufen es dann wieder, damit wir etwas anderes kaufen können“, erklärt Van Dessel.
Die Glanzlichter
Zu den Highlights des überaus atmosphärischen Albums gehört sicherlich die Leadsingle „Alive“. Eine echte Hymne. Sie sei an einem perfekten Tag im ländlichen Belgien entstanden. In einer früheren Version hieß das Stück „Pondi“ – benannt nach einem Igel, den sie am Teich im Garten entdeckt hatten, was sie für ein gutes Omen hielten.
Der unheimliche Einstieg vom Opener, dem Titelstück, bleibt ebenfalls haften. Das Klimpern des Klaviers hat etwas Bedrohliches, danach entlädt sich der Song in pure Energie. „Dime a Dozen“ beschwört wunderbar den Grunge vergangener Tage auf. „When You All Were Young“ und „From Now On“ bewegen sich eher in Goth-Rock-Gefilde, auch dieses Genre meistern Ghostwoman. „To That Jesus“ erinnert schwer an The Brian Jonestown Massacre, „Levon“ flirtet gekonnt mit dem Glam. Es gehört zu den Wundern unserer Zeit, dass seinerzeit unversöhnliche Genres heute alle auf ein Album passen – und ein stimmiges Ganzes ergeben.
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