Mit „Golden Years“ hauen die Indie-Rocker von Tocotronic ihr nunmehr 14. Studioalbum raus. Eine Platte, mit der die Hamburger den gesellschaftlichen Ist-Zustand zu kommentieren versuchen – und dabei zwischen Pessimismus und Zuversicht hin und her gerissen scheinen.
„Golden Years“? Hm. also so richtig gülden kommen einem die Zeiten doch eigentlich nicht gerade vor. Eine Krise jagt die nächste. Klima. Krieg in der Ukraine. Trump. Gaza. Ein Rechtsruck geht durchs Land. Da würden einem doch gerade ganz andere Farben einfallen, um die gegenwärtige Lage zu beschreiben. Vielleicht könnte der Titel auch ein Verweis auf die goldenen Zwanziger Jahre sein, die Weimarer Republik, in der Deutschland dann so langsam aber sicher auf den braunen Abgrund zusteuerte.
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Natürlich ist der Titel sarkastisch gemeint. Aber er ist auch ambig. Denn so ein bisschen Hoffnung auf bessere Zeiten schimmert ja dann doch auch durch. Und genau diese Uneindeutigkeit, dieses Hin- und Hergerissen sein zieht sich durch das gesamte neue Album der Hamburger. In Songs wie „Bleib am Leben“ etwa. Gitarre, Bass, Schlagzeug gehen hier mit Wucht nach vorn. Der Refrain: überaus eingängig. „Es gibt noch was zu erledigen“, versucht Sänger und Texter Dirk von Lowtzow hier das Gegenüber, das sich fast schon aufgegeben hat, zum Weitermachen zu ermutigen.
Zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit
Kämpferisch geben sich Tocotronic etwa auch in dem antifaschistischen „Denn sie wissen, was sie tun“, in dem die blau-braune Gefahr besungen wird. Das Lied erinnert in einer fast Kinder-Abzählreim-haft eindringlichen Weise an das, was vielen aus dem Blick zu geraten sein scheint: dass es sich bei denen, die uns bedrohen, nicht um Opfer handelt, die es zu verstehen, zu umarmen, zu beschwichtigen gilt, sondern um solche, die das, was sie tun, aus voller Überzeugung tun, mit einem Ziel und mit einer Ideologie:„Diese Menschen sind gefährlich / Sie sind gänzlich unverdreht / Sie leben völlig selbstverständlich / Terror als Identität“. Gewalt, das machen sie hier aber auch deutlich, sei keine Lösung, um diese Gefahr zu bannen. „Darum muss man sie bekämpfen, denn es werden immer mehr / Darum muss man sie bekämpfen, denn sie werden zahlreicher / Darum muss man sie bekämpfen, aber niemals mit Gewalt / Wenn wir sie auf die Münder küssen, machen wir sie schneller kalt.“
Natürlich ist „Golden Years“, das sich musikalisch zwischen melancholischem Indie-Rock und -Pop bewegt (der Titeltrack atmet gar Country-Geist), politisch. Es handelt aber auch vom Altern, vom Glück der Reife und von der Angst vor dem Tod. In „Vergiss die Finsternis“ schluckt einen, den beschwingten Bläsern zum Trotz, am Ende die Dunkelheit. „Doch wirst du dich vergebens / Von ihr fortbewegen.“ Auch „Der Tod ist nur ein Traum“ handelt explizit vom Ableben. „Ein Rockstar stirbt zum zweiten Mal“, in dem es um den Verlust von Relevanz geht, hingegen eher metaphorisch. Alles düster also? Nein, Am Ende tröstet uns Dirk von Lowtzow und versichert uns: „Ich schreibe jeden Tag einen neuen Song.“
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