Jennifer Weist (foto: Mitch Stoehring)

Jennifer Weist über „Nackt“: „Das Buch hat auch neue Wunden verursacht“

Mit ihrer Autobiografie „Nackt“ kommt Jennifer Weist, auch bekannt unter ihrem Künstlernamen Yaenniver, in die Alte Feuerwache nach Mannheim. Es wird eine Mischung aus Lesung und Konzert – und eine aufwühlende Angelegenheit, wie uns die frühere Frontfrau von Jennifer Rostock verraten hat.

Wer als Mann eine ungefähre Ahnung davon bekommen möchte, wie es wohl ist, als Frau in der Öffentlichkeit zu stehen, dem sei der Instagram-Account von Jennifer Weist ans Herz gelegt. Hier teilt die Musikerin,  einst Frontfrau von Jennifer Rostock, auch  mal Kommentare, die sie von giftspritzenden Usern,  meist Männern, so bekommt. Etwa auch jene, die sie zum Erfolg ihres Buchs „Nackt“ erhalten hat. Sätze wie „Glaubt die Oma sie wäre Jesus, weil sie so einen Schinken  verfasst hat“, „Das geht ja leicht heute“ oder „Du gehörst in die forensische“, meist in fragwürdiger Rechtschreibung dargeboten. Man merkt: Eine Frau, die sich traut, eine öffentliche Figur zu sein, sollte besser ein dickes Fell haben.

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Vor allem, wenn man wie Jennifer Weist gewillt ist, sein Innerstes nach außen zu tragen. Die 38-jährige Musikerin, die auf der Ostsee-Insel Usedom aufwuchs, hat ein Buch geschrieben. „Nackt“ heißt es, genauso wie ihr Solo-Debütalbum, das 2022 erschien. Es ist keine alltägliche Künstler-Autobiografie. Bei Weist geht es  ans Eingemachte. Sie erzählt ungeschönt von ihrer Kindheit ohne Vater, von Drogenerfahrungen und sexualisierter Gewalt, die sie erlebt hat. Und sie schildert  Machtmissbrauch und Sexismus, mit dem sie in der  Musikindustrie konfrontiert war. 

„Ihr seid nicht allein“

„Ich habe mich in erster Linie dazu entschieden von meinen Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt zu sprechen, um das Erlebte zu verarbeiten. Ich hab es für mich getan und für mein kleines Mädchen, für mein jüngeres Ich, das ich durch die Verdrängung allein gelassen habe“, sagt Weist im Interview, und weiter:  „Ich habe es aber auch für alle anderen kleinen Mädchen und Jungs getan, die das erleben mussten. Ich möchte diesen Menschen sagen, dass sie nicht allein sind und dass die mit solchen Erlebnissen verbundenen negativen Gefühle von Opfer zu den Täter*innen endlich die Seite wechseln müssen.“

Ihre Mutter habe erst in der Vorbereitungsphase des Buchs von der sexualisierten Gewalt erfahren, die ihr als Kind angetan wurde. „Durch das Buch habe ich  viele überfällige Gespräche mit meiner Mutter geführt und wir sind uns jetzt näher als jemals zuvor“, sagt Weist. Überhaupt habe ihr Umfeld sehr positiv auf das Buch reagiert. Weist: „Ich habe nur Liebe und Unterstützung von meinen Liebsten erfahren und bin einfach froh, diese Menschen in meinem Leben zu haben.“

Schreiben und Vorlesen mit therapeutischem Effekt

Das Niederschreiben und auch das öffentliche Lesen hatte und habe  einen  therapeutischen Effekt auf sie, sagt Weist. „Jedoch hat das Buch auch neue Wunden verursacht, als ich nach dem Verfassen des Manuskripts alles nochmal las und feststellte, dass sich Misogynie, sexualisierte Gewalt und sexuelle Übergriffe wie ein roter Faden durch mein ganzes Leben ziehen“, so die Musikerin, die in dem Buch aber auch über eigenes Fehlverhalten, etwa Übergriffe auf der Bühne, nachdenkt. „Ich finde es wichtig, sich immer wieder selbst zu reflektieren, sich Fehler einzugestehen und um Entschuldigung zu bitten. Ich glaube, sonst können wir als Menschen und auch als Gesellschaft nicht wachsen“, so Weist.

Die aktuelle Lese- und Akustiktour, die sie auch nach Mannheim führt,  nehme sie  emotional mehr mit, als sie erwartet habe. „Ich erzähle jeden Abend von den schlimmsten Erfahrungen meines Lebens, durchlebe sie somit auch jeden Abend aufs Neue. Das ist ein Unterschied zu einer Rockshow, bei der ich lediglich meine Songs singe und performe, auch wenn ich darin diese schlimmen Erfahrungen verarbeite“, erklärt Weist. Songtexte könnten immer auf verschiedene Arten interpretiert werden, bei dem Buch gebe es hingegen keinen Interpretationsspielraum mehr.

Doch der (emotionale) Aufwand lohne sich. Weist: „Ich bekomme jeden Tag sehr bewegende Nachrichten mit durchweg positiver Resonanz. Viele Menschen erkennen ihre Geschichte in meiner wieder und können sie dadurch aufarbeiten und auch Heilung finden.“

Nach der Tour wieder Musik

Was man nun von der Show in Mannheim erwarten kann? Weist: „Da möchte ich mit einer Nachricht antworten, die ich heute von jemandem bekommen habe, der schon bei meiner Show war: ,Unfassbar. Ich habe gerade drei Stunden lang geweint, gelacht, mitgefühlt und genossen. Danke für diesen unvergesslichen Abend!’

Nach Abschluss der Tour gehe es weiter mit Musik.  Vor kurzem hat Weist eine neue Single veröffentlicht,  im Oktober komme mit   „angry woman“ ein neues Album, und im November gehe es damit auf Tour.  Außerdem steht die dritte Staffel des Podcasts „Fuck you very very much“ (mit ihr und Markus Kavka) in den Startlöchern.  Weist: „Und im Sommer bringe ich noch ein großes Herzensprojekt von mir raus.“

Termin

Jennifer Weist tritt am Freitag, 30. Mai, 20 Uhr, mit ihrem Buch „Nackt“ und Musik in der Alten Feuerwache in Mannheim auf.

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