Pop-Rock made in Birmingham: Die Fine Young Cannibals hinterließen in den 1980er Jahren mit einer ganzen Reihe an Hits bleibenden Eindruck, ehe ihr Stern in den 1990er Jahren langsam verglühte. Was bleibt sind Evergreens für die Ewigkeit. Die neue Compilation „FYC40“ versammelt diese nun in einer schmucken Box. Mit allen Klassikern, jeder Menge Raritäten und innovativen neuen Remixen.
Im Pass der Fine Young Cannibals mag das Gründungsdatum „1984“ stehen, tatsächlich beginnt die Geschichte der Kapelle aber schon vorher. Denn Gitarrist Andy Cox und Bassist David Steele machten schon bei der 1978 ins Leben gerufenen Popgruppe The Beat gemeinsame Sache. Die Band vereinte in ihrem Sound Latin Music, Ska, Pop, Soul, Reggae und Punk-Rock. Eine würzige Melange, die Hits wie „Tears of a Clown“ (ein Smokey-Robinson-Cover) gebar. 1983 kam dann das jähe Ende des Aushängeschilds der 2-Tone-Bewegung. Für Cox und Steele völlig überraschend. Gerade hatte man noch David Bowie supportet. Ein viertes Album war in Planung . Und dann stiegen Sänger Dave Wakeling und der fürs Toasting zuständige Roger Charlery einfach aus.
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Cox und Steele wollten auf jeden Fall irgendwie weiter machen, auch mit Beat-Drummer Everett Morton, der ging aber letztlich ebenfalls von Bord. Jeden Stein drehten die beiden um, auf der Suche nach einem neuen Sänger. In Roland Gift wurden sie fündig. Der Sohn einer britischen Mutter und eines afrokaribischen Vaters, in Birmingham geboren und mit elf Jahren nach Hull gezogen (wo er sich als mixed-race kid „vollkommen als Außenseiter“ fühlte, wie es im Waschzettel zum Album heißt), schien die perfekte Besetzung. Der Gute war charismatisch, konnte Saxofon spielen (was er etwa in der Band Post-Punk-Band The Akrylykz auch tat), hatte Schauspielerfahrung – und eine wunderbare, soulvolle Stimme. Über The Akrylykz, die The Beat mal als Support begleitet hatte, wurden auch erste Bande zwischen Gift, Cox und Steele geknüpft.
Eine magische Verbindung
Es war eine Verbindung, die zunächst wunderbar funktionierte. Das Trio teilte eine Vision, wollte Musik machen, die nicht so oberflächlich wie viele zeitgenössische Produktionen war, ließ sich dabei von Soul, Jazz und R&B inspirieren. Die erste Single, die die Fine Young Cannibals (der Name war dem Filmtitel „All the Fine Young Cannibals“ entlehnt, ein Film mit Natalie Wood aus dem Jahr 1960, der in Deutschland unter dem Namen „Früchte einer Leidenschaft“ lief) auf den Markt brachten: „Johnny Come Home“. Lange schraubten die drei an dem Song rum, unter anderem mit Hilfe der Produzentin Anne Dudley, am Ende warfen sie das rohe Demo auf den Markt. Nachdem das Video dazu bei „The Tube“ auf Channel 4 gezeigt wurde, flatterten die Label-Angebote nur so rein.
Das selbstbetitelte Debütalbum erschien dann 1985 bei London Records. Auf dem fand sich nur der Debüt-Hit, sondern auch das geschätzte Elvis-Cover „Suspicious Minds“ sowie das weniger geschätzte Buzzcocks-Cover „Ever Fallen in Love“. Die Platte verhalf FYC auch zu Aufmerksamkeit auf der anderen Seite des großen Teichs, auch wenn dort der ganz große Chart-Erfolg ausblieb.
Plötzlich war der Treibstoff alle
Vier Jahre vergingen dann bis zum Nachfolger „The Raw & The Cooked“. Zeit, in der sich Gift der Schauspielerei widmete und Steele und Cox ein House-Projekt ins Leben riefen. Außerdem schrieb man gemeinsam einen Song für Barry Levinsons Film „Tin Men“, in dem die Band dann auch einen Gastauftritt hatte. „The Raw & The Cooked“ wurde zum Teil in dem Studio von Prince im Paisley Park bei Minneapolis aufgenommen. Zwar ohne das Zutun des großen Meisters, aber zumindest unter der Mithilfe von dessen Toningenieur David Z, der hier nun den Co-Produzenten gab.
Eine fruchtbare Kollaboration, das Album deckte von Motown und Doo-Wop über Electropop und Indiepop bis House- und Funky-Drummer-Elemente vieles ab, ohne dabei beliebig zu wirken. Mit „She Drives Me Crazy“ befindet sich auf dieser Platte auch der größte Hit der Band – Paisley-Park-Soul trifft hier auf markante Rockriffs, Gifts klagenden Falsett-Gesang und eine ikonischen Snare-Drum (basierend auf einem Prince-Bongo-Sample, bis zur Unkenntlichkeit
verfremdet). Großes Kino. Mit „Good Thing“ warf das Album auch einen zweiten großen Hit ab. Rund fünf Millionen Mal verkaufte sich die Platte.
Doch obwohl die Band gerade die Rakete auf dem Rücken hatte, war das Album auch ihr Ende. Hier und da gab es nochmal ein paar Remixes der 80er-Klassiker, mit Hip-Hop- und House-Größen (viele hier in dieser Compilation erstmals gesammelt). 1996 erschien nochmal eine Single („The Flame“). Ansonsten war Schicht im Schacht. Eine offizielles Aus wurde nie verkündet. Die Band verschwand einfach. Das letzte Album hatte der Gruppe den Spaß geraubt, sie ausgebrannt.
„FYC40“: Die definitive Anthologie
Immerhin: Sie hinterlässt Songs für die Ewigkeit. Mit dem nun vorliegenden „FYC40“ feiert London Records dieses Erbe mit einer definitiven Anthologie. „FYC40“ erscheint in mehreren Formaten: als 12-Track-Vinyl und -CD mit den Kernhits, als erweiterte Doppel-LP mit 24 Songs (inklusive sechs exklusiver Remixes) sowie als Doppel-CD mit Bonusdisc voller neuer und seltener Remixes aus dem Archiv von London Records.
Die erweiterten Editionen gehen weit über die Hits hinaus. Sie heben seltene oder unveröffentlichte Schätze, darunter Ära-definierende Remixes von Jazzie B (Soul II Soul), Prince Paul (De La Soul), Norman Cook, Arthur Baker, Roger Sanchez, Mousse T und Faithless. Ergänzt werden diese um brandneue Versionen von Flight Facilities, The Reflex, DJ Q sowie unveröffentlichte Promo-Remixes von Frankie Knuckles und Juan Atkins.
Für Sammler:innen bietet die Deluxe-Box (4CD/DVD) ein wahres Schatzkästchen. Sie enthält das Debütalbum von 1985 und „The Raw & The Cooked“ (jeweils erweitert um Raritäten). Dazu gibt es zwei weitere Discs mit Remixes sowie eine DVD mit sämtlichen Promo-Videos. Auf dieser sind auch das restaurierte „Live at the Paramount“-Konzert von 1989 sowie legendäre BBC-Auftritte der Band bei „Top of the Pops“, „The Old Grey Whistle Test“ und „Wogan“ zu finden.
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