Amy Macdonald (foto: Olivia Rose)

Amy Macdonald im Interview: „Wir haben keine Geduld mehr“

Mit knackigen Folkrock-Hits wie „This Is the Life“ oder „Poison Prince“ stürmte Amy Macdonald in den späten Nuller-Jahren des 21. Jahrhunderts die Charts. Seit ihrem Debüt hat die 1985 in einem Vorort von Glasgow geborene Sängerin vier weitere Studioalben veröffentlicht, ein sechstes ist in der Pipeline: „Is This What You’ve Been Waiting For?“ soll am 11. Juli erscheinen, gefolgt von etlichen Konzerten in Deutschland. Auf ihrer Tour macht die Schottin unter anderem beim Open-Air-Festival „Das Fest“ in Karlsruhe (So 27.7., 19 Uhr) und in der Saarlandhalle Saarbrücken (Sa 2.8., 20 Uhr) Station. Mit der Singer-Songwriterin sprach Benjamin Fiege.

Amy, sind Sie ein Party-Typ?

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Nicht mehr so sehr. Als ich jünger war aber definitiv. Heute bin ich lieber früh im Bett und schlafe gut.

Ihr erster großer Hit „This Is the Life“ war eine Party-Hymne, die das Feiern feierte. Ihr neuer Song „We Survive“ scheint mir eher das Gegenteil zu sein. Der beleuchtet mehr die Schattenseiten des Absturzes.

In Schottland haben wir leider ein schlechtes Verhältnis zum Feiern und zum Alkohol. In den vergangenen Jahrzehnten haben viele unserer Regierungen versucht, dieses Problem zu adressieren. Aber niemand konnte es wirklich lösen. Es ist einfach etwas, das in der schottischen Kultur verankert ist. Wir mögen es, komplett steil zu gehen. Ich war selbst Teil dieser Kultur, viele meiner Fans sind es heute noch. Vielleicht liegt’s am furchtbaren Wetter hier, dass die Leute etwas Eskapismus brauchen. Insgesamt läuft es aber im Vereinigten Königreich auch gerade nicht gut für viele Menschen. Das Leben ist hart, vor allem seit der Pandemie. Und für viele scheint da das Ausgehen die beste Medizin zu sein. In dem Song „We Survive“ denke ich genau darüber nach. Und ich denke an einen Teil meiner crazy Fans, die es vielleicht etwas langsamer angehen lassen sollten.

Unterscheiden sich da die Schotten so sehr von den Deutschen? Hier spielen Wein und Bier auch eine zentrale Rolle.

Ich denke, die Deutschen haben da den Dreh eher raus. Da läuft das mehr unter dem Gesichtspunkt „gesellig“ ab. Bei euch geht es nicht so sehr darum, einfach so schnell wie möglich betrunken zu sein.

Songs als Kurzgeschichten

Überleben, weitermachen – das sind Themen, die sich durch das neue Album ziehen. Warum?

Tatsächlich schreibe ich ein Album gar nicht mit einer Vorab-Idee für ein übergeordnetes Thema. Ich sehe die einzelnen Songs eher für sich, als Kurzgeschichten. Inspiration kann ich mir überall holen. Das können Dinge sein, die Freunde erlebt haben oder ich selbst, oder Dinge, die ich auf der Bühne mitbekomme. Ich merke manchmal selbst erst dann, wenn ich das Album aus den Songs zusammensetze, dass es da ein Thema gab, das mich offensichtlich in dem Zeitraum, in dem ich geschrieben habe, beschäftigt hat. Oft sind das ja überschaubare Zeiträume. Mein Ziel ist es aber vorab nie, eine bestimmte Botschaft zu transportieren. Auch wenn es am Ende vielleicht so wirkt.

Aus deutscher Perspektive sah es so aus, als hätten Sie sich in den vergangenen Jahren etwas zurückgezogen. Das letzte Album erschien vor fünf Jahren …

Das lag zum Großteil an der Pandemie. Die hat bei mir einfach sehr viele Pläne durcheinandergewirbelt. Ich konnte nicht richtig touren, der ganze übliche Rhythmus, den man nach einer Albumveröffentlichung hat, war nicht da. Ich konnte also nur punktuell etwas machen. Als dann plötzlich das Auftreten wieder möglich war, war es zu spät, zum Album noch eine richtige Tour auf die Beine zu stellen. Daher denken die Menschen wahrscheinlich, ich sei abgetaucht gewesen. 2022 habe ich noch ein paar Auftritte gehabt, 2023 habe ich mir genommen, um das neue Album zu schreiben. 2024 sind wir ins Studio gegangen. Von außen sieht das alles immer nach einer langen Zeit aus, für mich fühlte es sich aber gar nicht so an, weil ich schwer damit beschäftigt war, Songs zu schreiben. Das dauert. Ich muss erst einmal Erfahrungen sammeln, die ich dann entsprechend verwerten kann.

„Nicht verrückt machen lassen“

Sie gehören zu den Künstlern beziehungsweise Künstlerinnen, die mutig genug sind, sich die Zeit zu nehmen, die sie benötigen. Haben Sie auch das Gefühl, dass Künstler sich heute viel zu sehr hetzen lassen?

Ja, und das liegt sicherlich an den Streamingdiensten, dass Musiker das Gefühl haben, in kurzen Abständen stets neue Songs veröffentlichen zu müssen. Und an Social Media, wofür man ständig Content produzieren muss. Das frisst unheimlich viel Zeit. Man findet sich da schnell in einem Hamsterrad wieder und verschwendet viel Lebenszeit darauf, sich Sorgen zu machen. Sorgen, dass einen die Leute vergessen könnten. Am Ende fühlt sich das Künstlerdasein dadurch wie ein Job an. Dabei sollte ihm doch eigentlich eine gewisse Magie innewohnen. Da muss es doch um Inspiration gehen, um Geschichten. Man kann doch nicht einfach Musik veröffentlichen, nur um der Veröffentlichung willen. Da kann man doch keine echte Verbindung zu seinem Output haben. Und wie sollen dann die Fans eine Verbindung dazu herstellen, wenn man sie selbst nicht hat? Man sollte sich als Künstler nicht verrückt machen lassen. Deswegen nehme ich mir meine Zeit, deswegen setze ich mir meine Pausen. Das führt zu einem besseren Ergebnis.

Die ständige Präsenz mancher Künstler führt dazu, dass man gar keine Chance mehr hat, sie zu vermissen und sich auf ein neues Album oder einen neuen Song zu freuen.

Viele nehmen sich nicht mehr die Zeit, sich überhaupt ein ganzes Album anzuhören. Sie picken sich nur noch einzelne Songs raus und hören diese auf Repeat. Und dann wollen sie Nachschub. Vielleicht würde es den Appetit etwas stillen, sich mal ein ganzes Album anzuhören. 

Ist der Titel Ihres neuen Albums, „Is This What You’ve Been Waiting For?“ eine Anspielung auf dieses Thema?

Ja, auch wenn die ursprüngliche Inspiration durch einen Auftritt von U2 in „The Sphere“ in Las Vegas kam. Die Show hat mich umgehauen, sie war unfassbar gut und erinnerte mich daran, wie toll Live-Musik sein kann. Der Titel kam mir dann wieder, als ich auf Social Media unterwegs war, und dort jeden Tag von Leuten mit Fragen bombardiert wurde wie: Wann tourst du wieder? Wann gibt’s neue Musik? Warum sind da keine neuen Songs? Ich hatte das Gefühl, diesem Druck nicht entkommen zu können. Wir haben die Leute darauf hintrainiert, dass sie 24/7 neues Material bekommen, das sie dann konsumieren können, und wir denken darüber nicht nach. Es geht immer nur um das Nächste, das Nächste, das Nächste. Wir haben keine Geduld mehr, die Dinge zu genießen.

Von Travis inspiriert worden

Stimmt es, dass die Band Travis Sie zum Musikmachen inspiriert hat?

Ja, das ist richtig. Ich hörte das Album „The Man Who“ und liebte es. Damals hatte ich auch die Chance, Travis live zu erleben. Ich war daraufhin besessen davon, Gitarre spielen zu lernen, um die Songs begleiten zu können. Ich habe mir das Spielen selbst beigebracht, mit der alten Gitarre meines Vaters. Erst spielte ich Travis, dann schon bald meine eigenen Songs. Ohne die Band wäre ich wohl keine Musikerin geworden.

Hätten Sie sich denn auch vorstellen können, selbst Teil einer Band zu werden? Oder hat sie das Solo-Musikerinnen-Dasein von Beginn an mehr gereizt?

Tatsächlich habe ich mich damit nie beschäftigt. Einfach aus dem Grund, weil ich damals niemanden kannte, der auch ein Instrument spielte und mit dem ich eine Band hätte gründen können. Vielleicht wäre es sonst so gekommen. Vielleicht wäre ich aber auch zu schüchtern gewesen. Ich hatte lange nicht das Gefühl, wirklich zu wissen, was ich da mache. Und vielleicht wäre ich zu scheu gewesen, andere in meine kleine Welt zu lassen, die Ahnung haben, von dem, was sie da treiben. Hinterher hätten die mir noch gesagt, dass ich nichts drauf habe. Später habe ich schon gelegentlich mal gedacht, wäre cool, in einer Band zu sein, weil man sich die Arbeit dann aufteilen kann. Als Solo-Künstlerin bin ich auf mich allein gestellt.

Wie Travis – und viele andere große Künstler – stammen Sie aus Glasgow. Was ist das Besondere an dieser Stadt? Warum ist sie so eine Talentschmiede?

Glasgow hat so viele Auftrittsmöglichkeiten, von den unzähligen kleinen Pubs bis hin zur großen Venue und dem Stadion. Wer nachts durch Glasgow zieht, kommt an Musik nicht vorbei, es gibt sie an jeder Ecke. Entweder spielen Bands oder es gibt Open-Mic-Nights. Glasgow ist eine sehr musikalische Stadt mit einem sehr musikalischen Erbe und historischen, legendären Musikstätten. Das ist Teil der Kultur dieser Stadt. Wenn man dort aufwächst, wird man zwangsläufig davon inspiriert.

Was können Fans denn nun von Ihren Auftritten in Karlsruhe und Saarbrücken erwarten?

Noch steht die Setlist nicht. Wir haben in dieser Saison erst einen größeren Auftritt in voller Band-Formation gespielt, auch bei einem Festival, in England. Da hatten wir 45 Minuten, in die wir zwei neue Songs eingebaut und den Rest mit älterem Material bestückt haben. Das kristallisiert sich also erst noch alles raus, wir suchen noch die perfekte Balance. Aber mir ist schon klar, dass die Leute viele der älteren Songs hören möchten.

Fühlt es sich immer noch aufregend an, neues Material das erste Mal live vor Publikum zu präsentieren?

Da ist immer eine gewisse Nervosität vorhanden. Aber Aufregung? Nein. Man weiß ja, dass die meisten Menschen nicht sonderlich aufnahmefähig sind, wenn es um neue Musik geht. Sie wollen die Lieder hören, die sie kennen und achten da nicht so sehr aufs neue Material. Gerade bei Festivals. Wenn man vor ausschließlich eigenen Fans spielt, ist das ein bisschen anders. Die Nervosität, die ich ansprach, kommt daher, dass man selbst noch nicht so in den neuen Songs geübt ist. Man hofft, nichts falsch zu machen und den Text nicht zu vergessen.

„Schreiben ist besser als Reisen“

Spielt Lampenfieber bei Ihnen eine Rolle? Der Song „Physical“ auf der neuen Platte deutet ein bisschen darauf hin.

In dem Song geht darum. Aber für mich selbst spielt Lampenfieber zum Glück keine große Rolle. Nur in bestimmten Situationen. Weniger auf der Konzertbühne, eher wenn ich Radio- oder TV-Auftritte habe. Da werden mir die ganzen Augen vor dem Fernseher eher bewusst als bei einem Konzertpublikum. Bei letzterem denke ich immer: Wir sind doch alle gemeinsam hier, um eine gute Zeit zu haben.

Touren Sie denn gerne?

Mein liebster Part des Künstlerdaseins ist das Schreiben. Es gibt für mich nichts Aufregenderes als eine Song-Idee zu haben, die mir gefällt. Und es ist ein tolles Gefühl, ein Lied dann mit der Welt zu teilen, auf der Bühne, mit den Fans, mit einer guten Live-Band im Rücken. Das Reisen selbst macht mir nicht mehr so viel Spaß wie als junger Musikerin. Aus dem Koffer zu leben, in einem Bus zu sitzen, das ist nicht mehr so lustig wie früher.

Sie sind ja ausgewiesener Auto-Fan. Immerhin macht das Reisen auf deutschen Autobahnen die Sache ja vielleicht erträglicher.

Ja, die sind wirklich gut. Da kann man nachts im Bus auch schlafen, ohne dass man ständig durch Schlaglöcher geweckt wird.

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