The Beat: The God Factor. Hallelujah!

Die Castingshows gehen in die nächste Runde. Wieder dürfen Hinz und Kunz von der großen Karriere träumen. Was wir viel besser fänden: Wenn sie die Texte zu den Liedern, die sie da vortragen, auch verstehen würden. Ein Essay anhand des Beispiels „Hallelujah“.

Wenn ihr, wie ich, vor 1990 geboren seid, kennt ihr den Film „Wayne’s World“. Da gibt es eine Szene, in der Wayne in ein Musikgeschäft kommt, sich eine E-Gitarre schnappt und Led Zeppelins „Stairway To Heaven“ anspielt. Doch der Verkäufer unterbricht ihn und zeigt auf ein Schild, auf dem da steht: „No Stairway To Heaven“. Ähnlich wie dem Gitarrenhändler geht es wohl nicht nur mir, wenn bei einer Castingshow mal wieder das Lied „Hallelujah“ von Leonard Cohen angestimmt wird. Meistens gesungen von Teilnehmern, bei denen erst eine (erfundende?) tragische Hintergrundgeschichte ausgerollt wird, damit wir sie überhaupt sympathisch finden.

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Sieben Strophen hat „Hallelujah“, aber da die Zeit im Abendprogramm ja begrenzt ist (Gott sei Dank!), wurden noch nie alle vorgetragen. Wobei sich auch „prominente“ Cover, zum Beispiel von Jeff Buckley oder Rufus Wainwright, auf weniger Strophen beschränken. Das Kürzen soll jetzt kein Kritikpunkt sein. Jedoch hat sich etwas eingeschlichen, was sich einer kritischen Betrachtung unterziehen sollte, und zwar das Ändern einer Textzeile. Einige Interpreten ersetzen nämlich „Well, maybe there’s a God above“ mit „I know there’s a God above“. Nun gibt es ja Fälle, in denen Textteile für ein Cover verändert worden sind. Sinnvoll war etwa, dass Johnny Cash bei seiner Version von „Hurt“ singt „I wear this crown of thorns“ anstelle von „I wear this crown of shit“. Was bei den Nine Inch Nails noch funktioniert, würde aus Cashs Mund nur irritieren. Doch wie ist nun „I know …“ zu bewerten?

Leonard Cohen hat sein „Hallelujah“ – und sogar genau die Zeile, um die es hier geht – mehrmals verändert. So sang er früher „Forgive me Lord, if you’re up there above“, später dann „Well, maybe there’s a God above“. Und hier zeigt sich, welche Entwicklung dieses Lied gemacht hat, von einer direkten Abhängigkeit, der Bitte um Vergebung mit einem zweifelnden Zusatz, „wenn es dich gibt“, zu der bloßen Feststellung, dass es ungewiss ist, an wen sich Cohen wendet. Anfangs enthielt der Text noch mehr christliche Bezüge, bis Cohen sich entschied, diese ein aufzulösen und eine neue Version zu schreiben, die er das „weltliche Hallelujah“ nannte. Und so entstand ein Song, in dem es darum geht, dass unsere Welt nicht vollkommen ist, weil Herzen und Leben zerbrechen, aber am Ende immerhin noch das „Hallelujah“ bleibt, das eben die Bedeutung hat, die man diesem Wort gibt. Ob jemand dadurch nun Gott dankt oder sich auf etwas anderes besinnt, das einem Halt gibt. Doch verstehen das so auch die Interpreten, mit ihrer schweren Kindheit, den geschiedenen Eltern, dem Ausbildungsplatz-Rausschmiss?

Außer Acht lassend, dass niemand wissen kann, ob es Gott gibt – auch wenn Castingshowteilnehmer dies einem gerne vormachen – , ändert die „Castingshow-Variante“ nichts an der Bedeutung von Cohens „Hallelujah“. Der Altmeister hat ja nie behauptet, Gott gebe es nicht, aber dass selbst ein mächtiges Wort wie „Hallelujah“ heute einen kalten, beschädigten Beiklang hat. Trotzdem ist die Urversion stimmiger, denn in einem Lied, in dem es um Zweifel und um die Suche nach Sinn geht, mitten rein zu rufen: „Ich weiß, dass es Gott gibt (denn ich habe ganz Schlimmes erlebt und bin darüber hinweg)“, und „Hallelujah“ damit die Vagheit zu nehmen, macht genau das kaputt, was Cohen schaffen wollte: Dass der Zuhörer darüber nachdenkt, was für ihn selbst das „Hallelujah“ ist.

Was bleibt ist ein verstümmeltes Lied, aber auch die Gewissheit, dass jemand, der es nötig hat, sein eigenes Schicksal dermaßen in den Vordergrund zu stellen, nicht im Entferntesten daran denken sollte, jemals wieder eine Bühne zu betreten.

Wie die Kandidaten, die ihre Texte nicht verstanden haben, wohl reagieren würden, wenn sie mit einem Schild wie bei Wayne’s World abgewiesen werden? Ich fürchte, man sieht sie in der nächsten Casting-Show mit einer noch dramatischeren Geschichte wieder und alles geht von vorne los. Einer sollte sie darauf aufmerksam machen, dass Wayne sich am Ende zwar seine Wunschgitarre kauft und so oft „Stairway To Heaven“ spielen kann, wie er möchte. Jedoch zu Hause. Ohne Zuhörer.

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