Depeche Mode (foto: anton corbijn/sony music)

Never Let Me Down – Vom besten Freund zum Henker: In den Fängen des Heroins

Clean werden oder clean bleiben – das ist das Ziel einer Drogenselbsthilfegruppe, die sich jeden Donnerstag im Haus der Diakonie einer pfälzischen Kleinstadt trifft. Was hier besprochen wird, bleibt normalerweise hinter verschlossenen Türen. Uns gewährte die Gruppe ausnahmsweise einen Einblick. Ein Besuch.

Hager und abgemagert. Blass. Kränklich. So stellt man sich jemanden vor, der ein Suchtproblem hat. Oder hatte. „Ist das ein Neuer?” Richard kommt auf mich zu und schüttelt mir die Hand. Detlev, der gerade eine Wasserkiste ins Zimmer wuchtet, lacht: „Nee, der sieht doch nicht so aus, oder?” Die fünf Gruppenteilnehmer aber auch nicht (alle Namen von der Redaktion verändert). Es sind Männer, die Familie haben. Arbeit. Verantwortung. Wie aber sind diese Menschen in die Klauen der Sucht geraten? Im Gesprächsraum im Haus der Diakonie sprechen sie darüber. Warme Farben dominieren hier. Eine Kerze spendet Licht. An der Wand zauberhafte Bilder einer exotischen Tänzerin. Während sie ihr Gesicht mit einem Schleier verhüllt, legen die Gesprächsteilnehmer jenen ab. Dazugehören. Sich selbst in einem besseren Licht sehen.

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I’m taking a ride / With my best friend / I hope he never lets me down again / He knows where he’s taking me / Taking me where I want to be / I’m taking a ride
With my best friend

Richard und Matthias fingen in ihrer Jugend mit dem Trinken an, landeten später beim Heroin. Ebenso Hans. „Mit der Bierflasche in der Hand musste ich nicht verschämt in der Ecke stehen. Frühe Anzeichen meiner Sozialphobie”, weiß Hans heute. Jogi, mit Mitte 30 das Nesthäkchen der Gruppe, trank, um der Realität zu entfliehen. Detlev durchlief die klassische Drogenkarriere. Alkohol, Haschisch, Koks, Speed, Tabletten, zum Schluss Heroin. „Vielleicht ist es Veranlagung, vielleicht Sozialisation. Warum der eine süchtig wird, der andere nicht – da gibt es keine gesicherten Erkenntnisse”, überlegt Richard. Hier in der Gesprächsrunde gibt es bei den meisten Suchtfälle im Stammbaum. Immer war es ein schleichender Prozess, der sie in die Abhängigkeit trieb. „Es ist nie nur ein einziges Schlüsselereignis”, sagt Matthias, einst Polytoxikoman. „Ein Vielgifter”, wie er selbst sagt.

We’re flying high / We’re watching the world pass us by / Never want to come down / Never want to put my feet back down / On the ground

Das Gefühl, „high” zu sein sei einfach unbeschreiblich, erinnert sich Matthias. „Heroin ist eine Arbeitsdroge. Man fühlt sich voller Tatendrang, euphorisch”, sagt er. Damals dachte er, das sei genau sein Ding. Ein fataler Irrtum, den er erst viel später begreifen würde. Sucht ist tückisch. Sie ist ein Biest, das auf leisen Sohlen anschleicht. Plötzlich ist es da, sitzt fest im Genick und lässt sich nicht mehr abschütteln. „Am Anfang meint man, man hat es im Griff”, sagt Matthias. Doch irgendwann kann man die Entzugserscheinungen nicht mehr ignorieren. Die Sucht hat einen in ihren kalten Fingern. Von der Außenwelt oft unbemerkt. „Süchtige bauen sich ein Lügenkonstrukt auf”, sagt Matthias, der weiß, von was er spricht. „Schatz, da ist noch ein Auftrag reingekommen.” Stattdessen fuhr er nach Frankfurt, Stoff besorgen. Alkohol ist leicht zu beschaffen, da lässt sich das Selbstbelügen länger aufrecht erhalten. Bis zu einem gewissen Punkt. „Als ich keine dreistündige Autofahrt mehr überstand, ohne Bier zu trinken, merkte ich, du machst dir was vor. Du hast es nicht im Griff”, sagt Jogi. Sucht ist keine Krankheit, die man abstreifen und in eine Schublade stecken kann. Sucht ist chronisch. Man kann sich entgiften, Therapien machen, den Konsum stoppen. „Es wird aber meist ein lebenslanger Kampf sein”, sagt Matthias.

I’m taking a ride / With my best friend / I hope he never lets me down again / Promises me I’m as safe as houses / As long as I remember who’s wearing the trousers / I hope he never lets me down again

Der Wille dazu, da sind sich alle einig, muss im Süchtigen entstehen. „Man muss kapitulieren”, sagt Hans. „Oft erreicht man einen Tiefpunkt, der einem klar macht, dass es so nicht weitergeht”, sagt Jogi. Er soff sich ins Delirium, musste im Krankenhaus ausnüchtern. Ans Bett fixiert. Motivation von außen, wirft Matthias ein, kann zur richtigen Zeit hilfreich sein. Von Angehörigen oder Freunden. Oder auch durch einen heilsamen Schock: „Wir hatten uns zu dritt abends Heroin gedrückt. Einer fuhr heim, setzte sich auf der Fahrt noch einen Schuss und starb. Als wir das erfuhren, machte der andere Freund direkt bei mir einen Entzug”, erinnert sich Richard. Der Freund blieb sauber. „Von meinen 30 Heroin-Kumpels wurden drei clean”, sagt Richard. Für die 27 anderen wurde das weiße Gift vom besten Freund zum Henker. Richard ist seit 21 Monaten clean. Die Droge aber lässt ihn nicht los. „Ich träume davon, als Rentner Aufseher auf einer Opiumplantage zu sein. Ein Traum, der mich verfolgt, seit ich Ende 20 war”, so der Fünfzigjährige. Clean zu sein ist eine zerbrechliche Angelegenheit. Richard wurde schon mehrmals rückfällig. Und er weiß: „Wenn ich nochmal rückfällig werde, wird mich meine Familie verlassen. Und das zu Recht.”

See the stars they’re shining bright / Everything’s alright tonight

Die Gespräche in der Selbsthilfegruppe sollen helfen, dass dies nicht passiert. Offenbar mit Erfolg. „Die Gruppe hat mir den Arsch gerettet”, sagt Matthias. Es ist eine freie Selbsthilfegruppe, angebunden an die Fachstelle Sucht im Haus der Diakonie. Gegründet hat sie einst Matthias, mit ein paar Freunden. 17 Jahre ist das her: „In der Nähe gab es solche Einrichtungen damals kaum.” Einmal wöchentlich treffen sich im Haus der Diakonie nun Menschen, die ein Leben frei von Drogen führen wollen. Was hier erzählt wird, dringt nicht nach außen. Und wem gerade nicht nach reden zumute ist, der kann ganz einfach nur zuhören.” Es sind auch nicht nur die Drogen, über die diskutiert wird. Ganz normale Alltagsbefindlichkeiten haben auch ihren Platz. So erfährt die Runde bei Prinzenrolle und Mineralwasser etwa, dass Detlev ein schlechtes Gewissen hat, wenn er sich abends Ruhe gönnt. Matthias freut sich auf seinen Familienurlaub. Nur Richard hat „keine gute Zeit”. Saisonale Depressionen. Die Runde hört zu. Verständnisvoll.

Jede Runde beginnt in absoluter Stille. Meditation. Die Gruppenmitglieder sitzen im Kreis und gehen in sich. 15 Minuten lang. Kein Wort. Abschalten. Bei Jogi funktioniert das so gut, dass er nicht mal das laute Geläute der Kirchturmglocken hört. Geschweige denn sein Handy, das die Stille stört, indem es ständig auf dem Tisch vibriert. Am Ende verabschieden sich die Gruppenmitglieder herzlich voneinander. Man umarmt sich. Jeder von ihnen wird nächste Woche wieder da sein. Die Gefahr, dass die Sucht sie wieder packt, besteht immer. „Man muss sich immer reflektieren”, sagt Hans. Und reden. Mit Menschen, die verstehen. Reale Freunde, die die synthetischen, pflanzlichen und alkoholischen überflüssig machen…

– Namen der Beteiligten von der Redaktion geändert

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