The Big Show jubelt (foto: neon ghosts)

Live: WWE in Mannheim

Beim Wrestling gibt es Kämpfe, bei denen vorher schon feststeht, wie sie ausgehen. Am Freitag war die Show des Marktführers WWE in Mannheim zu Gast. Es hat seinen Reiz, sich diese Inszenierung anzusehen. Ein Erklärungsversuch.

Als Daniel Bryan am Montag bei „RAW“ den Ring betrat, da war das ein Augenblick großer Wahrhaftigkeit. Ein Moment der Transzendenz, der nie im Drehbuch der WWE-TV-Show vorgesehen war. Der im Spiegelkabinett des Wrestlings ganz und gar echt war. Die wilden Haare geschnitten, den zauseligen Bart gestutzt, so stand Bryan da, gefeiert von den Fans – und verkündete mit tränenerstickter Stimme, dass er die Stiefel an den Nagel hängt. In seiner knapp 16-jährigen Karriere hatte Bryan, der mal als der beste Wrestler der Welt galt, so viele Gehirnerschütterungen erlitten, dass die Ärzte ihm das Weiterführen seiner aktiven Laufbahn nun verboten haben. Bitter für den 34-Jährigen, der gerade erst zum Superstar aufgestiegen war.

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Doch die Show muss weitergehen. Gerade jetzt, vor Wrestlemania, dem Höhepunkt des WWE-Veranstaltungskalenders, dem Super Bowl des Wrestlings. Alles ist auf diese eine Show ausgerichtet, die 1985 den Grundstein dafür legte, dass World Wrestling Entertainment (damals World Wrestling Federation) heute ein börsennotiertes Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 600 Millionen US-Dollar ist. Die 32. Auflage des Spektakels geht am 3. April in Texas über die Bühne, seit dem Januar-Event „Royal Rumble“ befindet sich die WWE auf der „Road to Wrestlemania“, jener Phase also, in der die Flaggschiff-Show dramaturgisch aufgebaut wird. Die Show in der Mannheimer SAP-Arena stattfand, ist dazu da, Wrestlemania und das neue Network, den hauseigenen Internet-Sender, zu bewerben. Deutschland ist ein wichtiger Markt. Mit treuen Kunden, die der Liga selbst dann die Stange hielten, als sie hier über viele Jahre nicht im frei empfangbaren Fernsehen übertragen wurde. Und so schickt die WWE auch gleich drei ihrer Stars zum Vorab-Presse-Termin in die Vip-Lounge der SAP-Arena: Dolph Ziggler, Summer Rae und Antonio Cesaro.

Das Interesse der Medienvertreter gilt vor allem Cesaro. Der 1,96 Meter große und 105 Kilo schwere Schweizer ist nicht nur eine imposante Erscheinung, sondern auch der einzige deutschsprachige Akteur im Hauptkader der WWE. Wie Daniel Bryan sammelte der 35-Jährige Luzerner erst viele Jahre lang in kleinen Ligen Erfahrung und quälte sich in schäbigen Turnhallen vor kleinem Publikum, ehe er es auf die große Bühne der WWE schaffte. Und so schmerzt ihn der Verlust des Kollegen besonders. „Für Daniel ist das schade. Das tut einem nicht nur als Fan weh, sondern auch als Freund“, sagt Cesaro, der eigentlich Claudio Castagnoli heißt. Beide Männer teilten eine immense Leidenschaft für den Sport, bei dem Athletik auf Drama und Musik trifft. „Es ist einfach das ultimative Live-Spektakel, eine actionreiche, athletische Seifenoper“, findet Cesaro, der mit 24 entschied, sein Glück in den USA, dem Mutterland des Wrestlings, zu versuchen. Ein mutiger Schritt, denn Festland-Europäer hatten es in den Staaten ob der Sprachbarriere nie leicht. Und ein Schweizer hatte es vor ihm noch nie in eine der Mainstream-Ligen geschafft. „Es gab keine Blaupause, kein Vorbild, dem ich folgen konnte“, erinnert er sich. Das Geld, das er mit Wrestling verdiente, reichte oft nicht zum Leben aus. 2011 nahm ihn aber der Branchenriese unter Vertrag. Cesaro wird heute von Fans, Kollegen und Offiziellen gleichermaßen geschätzt, er gilt als einer, der selbst mit einem Besenstil noch ein ansehnliches Match zustande bringen könnte.

Derzeit kann er seiner Leidenschaft nicht nachgehen. Vor einigen Monaten hat sich Cesaro die Schulter verletzt, beim Pressetermin steckt der Arm nicht nur in einem teuren Anzug, sondern auch in einer Schlinge. Auf der Deutschland-Tour ist er dennoch dabei, als Muttersprachler ist er hier ein Zugpferd. Das Publikum in der SAP-Arena erlebt Cesaro immerhin in einem Interview-Segment. Der „Landvogt“, so sein Spitzname, hat sich als Überraschungsgast den Rapper Eko Fresh eingeladen. Das Publikum buht. Es mag solche Marketing-Geplänkel meist nicht, es will Action sehen. Fachfremde Gäste stören da meist. Was verwundert, schließlich gründet sich der Erfolg der WWE auf eben dieser Verbindung zwischen Wrestling und der schillernden Welt des Showbusiness.

Das Publikum ist zum großen Teil „smart“, das heißt, es weiß, dass das, was es da vorgesetzt bekommt, Show-Kämpfe sind, deren Ausgang abgesprochen ist. Dieses lang gehütete Geheimnis ist spätestens seit den 90er-Jahren keines mehr. Der Umstand stört hier niemanden – ebenso wenig wie es den Kinozuschauer stört, dass Bruce Willis ein Schauspieler ist und gar kein Cop, wie er uns in „Stirb langsam“ dreist vorgegaukelt hat. Wrestler spielen Charaktere (Gimmicks), die überzeichnet und oft stereotypbehaftet sind. In Mannheim laufen etwa ein selbstverliebtes Model (Tyler Breeze), ein Frauenschwarm (Dolph Ziggler), ein bärbeißiger Bulgare nebst seiner bösen russischen Managerin (Rusev und Lana), eine giftige Blondine (Summer Rae) sowie ein Rapper (R-Truth) die Rampe zum Ring hinunter.

Die Aufgeklärtheit des Publikums führte im Laufe der Jahre dazu, dass sich die Dynamik einer Show verändert hat. Die Helden und Bösewichte werden nicht mehr automatisch bejubelt oder ausgepfiffen, man ist buchstäblich jenseits von Gut und Böse. Der Zuschauer stellt sich eher die Frage, ob er sich von Wrestler XY unterhalten fühlt oder nicht – und reagiert entsprechend. Daniel Bryan wurde aufgrund seines steinigen Karrierewegs und seiner Performance verehrt – und schaffte es so trotz seiner schmächtigen Figur an die Spitze.

Umgekehrt mag es das Publikum gar nicht, wenn ihm ein Wrestler als „Next Big Thing“ präsentiert wird und es das Gefühl hat, dabei von der Liga übergangen worden zu sein. Das lässt sich gerade bei Roman Reigns beobachten, der in Mannheim den Hauptkampf gegen den Mexikaner Alberto Del Rio bestreiten darf. Reigns soll der neue Posterboy der WWE werden und mittelfristig John Cena als Aushängeschild ablösen. Die Liga lässt den Ex-Football-Spieler – ein Cousin der Wrestling-Legende „The Rock“ – daher meist gewinnen und präsentiert ihn übermächtig. Das Publikum reagiert auf ihn daher oft mit Pfiffen. In der SAP-Arena jedoch wird der Riese samoanischer Abstammung bejubelt. Reigns dankt es dem Publikum, in dem er dem Publikum einen Wunsch erfüllt. „We want tables!“ Reigns reagiert, baut einen Tisch im Ring auf, das Publikum rastet aus. Wohl wissend, dass ein Tisch im Wrestling zu Bruch geht, wenn er ins Spiel gebracht wurde. Das Möbelstück steht erst senkrecht in der Ringecke wie ein Versprechen, das Reigns irgendwann einlöst und Del Rio mit einem dem Football entlehnten Spear-Tackle durch den Tisch hämmert. 1, 2, 3, der Ringrichter zählt durch, das Match ist gelaufen, die Halle tobt. Und Reigns ist für den Moment auf dem Gipfel angekommen.

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