Bravo Hits (foto: sony music)

„Bravo Hits 100“. Oder: Wer kauft noch Compilations?

Seit 26 Jahren erfolgreich, mittlerweile ist es schon Nummer 100: Am Freitag erscheint die neue „Bravo Hits“. Auf dem Jubiläumssampler sind wieder aktuelle Chart-Songs drauf. Aber wer gibt in Zeiten von Spotify noch Geld aus für eine Mix-CD? 

In den Neunziger Jahren war es ein ungeschriebenes Gesetz für Teenies, mindestens zwei, drei „Bravo Hits“-Ausgaben im noch kümmerlichen Plattenregal stehen zu haben. Die standen dann da so rum, zwischen vergessenswerten Platten von Ace of Base oder David Hasselhoff. Die „Bravo“, die sich damals gern als Europas größte Jugendzeitschrift feierte, war das, was man heute einen „Influencer“ nennt. Das Heft hatte immerhin eine Auflage, die weit über einer Million verkaufter Exemplare lag. Ihr Wort hatte großen Einfluss auf den jungen Leser in einer Phase, in der dieser geschmacklich doch noch etwas irrlichterte. In einem Alter, in dem seine Entwicklung in einem Zeitfenster steckte, zwischen sich zaghaft entwickelndem Musikinteresse und militantem Versteifen auf einen einzigen Stil. Was dann üblicherweise bis zum Ende der Pubertät andauerte.

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Dank ihrer großen Reichweite war die „Bravo“ für die Musikindustrie ein wichtiger Partner. Und so war es nicht verwunderlich, dass Wege gesucht wurden, wie man sich gegenseitig befruchten könne. Der Legende nach ist es Thomas Schenk zu verdanken, dass die „Bravo Hits“ geboren wurde. Er war zu Beginn der Neunzigerjahre Chef von Warner Special Marketing und von der Idee getrieben, eine Reihe von Hit-Zusammenstellungen ins Leben zu rufen. Die Konkurrenz wie Sony Music drohte in diesem lukrativen Segment des Musikmarkts zu enteilen. Die „Bravo“ kam als Zugpferd mit ihrem großen Namen da gerade recht.

Und so erschien die erste „Bravo Hits“ am 21. April 1992. Das Konzept der Reihe schien, betrachtet man die ersten Ausgaben aus der Retrospektive, noch ein bisschen schwammig. Sicher, die aktuellen Charts spielten bereits damals die tragende Rolle. Doch auf den ersten „Bravo Hits“ verfolgte der zuständige Kurator auch den schulmeisterlichen Ansatz, den Kids der Zeit aufzuzeigen, dass auch Connie Francis, Otis Redding oder Sister Sledge in den Jahrzehnten zuvor ganz coole Socken waren.

1993 war aber mit diesem Prinzip Schluss. Ob es daran lag, dass der Kurator entnervt hingeschmissen hatte, weil die jungen Banausen lieber zu Dr. Alban und Snap steil gingen als zu Fats Domino oder den Doobie Brothers? Oder eher daran, dass man schnell begriff, dass mit aktueller Musik weit mehr Geld zu verdienen war?

Wahrscheinlicher ist letzteres.

Die „Bravo Hits“ konzentrierte sich also auf aktuelle Chart-Stürmer und jene, die es zu werden drohten. Mit Erfolg. Der Mix wurde zum Bestseller. Seit „Bravo Hits 3“ landete jede Ausgabe auf Platz eins der Charts. Das „Guinness Buch der Rekorde“ kürte die Reihe 2001 als die erfolgreichste CD-Serie, die es im deutschsprachigen Raum je gegeben hat sowie als bestverkaufte CD-Serie der Welt.

Der Hype war riesig, wie sich Thomas Schenk jüngst in einem Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ erinnerte. So habe der Karstadt in Essen, der immer als Erstes mit den neuen „Bravo Hits“ beliefert wurde, am Release-Day stets morgens um sieben eine Sondereröffnung einrichten müssen, weil die Kids Schlange standen. Ein Phänomen, wie man es heute von den Apple Stores kennt, wenn ein neues iPhone auf den Markt kommt. Zur bis heute erfolgreichsten Volume wurde „Bravo Hits 26“, die am 13. August 1999 erschien. Lag wohl an Lou Begas „Mambo No. 5“. Überhaupt war das Jahr unheimlich erfolgreich für die Marke.

Und dennoch kamen schon zur Jahrtausendwende die ersten Zweifel daran auf, ob die Reihe auch wirklich zukunftsfähig ist. Streaming war zwar noch lange nicht in Sicht, wohl aber gab es die Musiktauschbörse Napster. Wozu noch Zusammenstellungen kaufen, bei denen einem der Großteil der Songs ohnehin egal ist, wenn man sich doch seine Lieblingssongs kostenlos herunterladen und selbst auf CD brennen konnte?

Das Internet versetzte die Musikindustrie in Angst und Schrecken. Es war die Zeit, in der im Fernsehen immer diese Anti-Piraterie-Werbespots liefen, in denen traurige Muttis mit Kind an der Hand vor dem Knast auf Papi warteten, der dort schmorte, weil er sich Musik aus dem Netz gezogen hatte. Man lastete ihm an, dass er das illegal tat und nicht, dass es sich etwa um das jüngste Album der Vengaboys handelte, was lebenslänglich mit anschließender Sicherheitsverwahrung als akzeptables Strafmaß hätte erscheinen lassen können.

Die Musikindustrie ging zwar mit Beginn des digitalen Zeitalters dann doch nicht den Bach runter, tatsächlich traf es aber den Compilation-Markt hart. In einem Interview mit der „Musikwoche“ berichtete Schenk 2003, dass die Verkäufe drastisch eingebrochen seien – auch die der „Bravo Hits“, die damals nur noch „knapp unter einer Million“ Exemplare absetzte.

Sicher, der Abgesang auf die „Bravo Hits“ setzte damals zu früh ein. Noch immer verkaufen sich die Dinger vergleichsweise gut, und selbst die Spartenprodukte wie „Bravo Black Hits“ oder das Jahres-Best-Of sind noch nicht eingestellt worden. Die Frage, die aber heute, im Zeitalter von Streaming erlaubt sein muss, lautet: Warum eigentlich nicht? Wo bei Apple Music, Spotify, Tidal & Co. doch mit Algorithmen gearbeitet wird, die einen besser zu kennen scheinen als man selbst. Wer kauft, wer braucht im Jahr 2018, in dem jeder Titel doch ständig und überall verfügbar ist, noch „Bravo Hits“? Sind es tatsächlich die jungen Leser? Sind es Menschen, die sich vom Angebot an Millionen von Titeln in den Streamingdiensten schlicht überfordert fühlen, zumal sie sich eh keine Künstlernamen merken können und froh sind, wenn da einer ist, der ihnen das Gängige mundgerecht serviert, solange der nur mit seinen Oldie-Tipps fortbleibt? Oder sind es doch eher arme, verzweifelte Sammler-Seelen, Komplettisten, die einstmals mit Volume eins der „Bravo Hits“ angefangen haben und seit 26 Jahren aus der Nummer einfach nicht mehr rauskommen?

Eine Frage, die wir an die „Bravo“ und die zuständigen Plattenfirmen gestellt haben, auf die wir aber keine Antwort bekommen haben. Und so muss eine Recherche in den Kommentarspalten beim Internethändler Amazon Licht ins Dunkel bringen. Vermitteln die Namen der Rezensenten möglicherweise einen Eindruck davon, wer heutzutage noch zur Compilation greift?

Der erste Versuch ist enttäuschend. Viele der Käufer verstecken sich hinter Pseudonymen. „Azurloewin“ etwa hat das Jahres-Best-Of „Bravo The Hits 2017“ erworben. Sie ist offenbar zufrieden und kommuniziert das auch so („Gute Musik macht gute Laune“), verspürt aber doch einen gewissen Rechtfertigungsdrang: „Schon seit Jahren kaufe ich die CD für meine Nichte“. Auch „Amazon Kunde“ will die Doppel-CD nicht für sich selbst gekauft haben: „Hat meine Tochter auf Weihnachten bekommen und die CD läuft jeden Tag.“ Und „Katja“, die immerhin ihren Vornamen preisgibt, betont: „cd läuft super und machte meinen 13-jährigen Sohn glücklich.“ Mit der „Bravo-Hits“ scheint es also wie mit dem „Playboy“ zu Teenie-Zeiten zu sein – hat man, wenn man mit ihm ertappt wurde, nie für sich selbst gekauft, sondern stets für den Freund, der nicht selbst an den Kiosk konnte.

Nach längerer Sucherei findet man schließlich doch ein paar Klarnamen, die Aufschluss geben. Dieser empirisch nicht ganz wasserdichten Spontan-Studie zufolge heißen „Bravo Hits“-Hörer vornehmlich Jens, Holger, Carsten, Jürgen oder Helmut und sind mittleren Alters. Ob sie sich irgendwann doch einen Streaming-Account zulegen? Möglich. Aber bei Nummer 200 sind sie mit Sicherheit noch dabei. Klassisch. Physisch.

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